Er traf fast „Gott und die Welt“
Der Doyen Paul Lendvai zieht Bilanz über sein Journalistenleben.
Am 4. Februar 1957 kam er als Flüchtling aus Ungarn in den freien Westen – nach Wien. Er blieb. Wurde – nach Erfahrungen mit dem nazistischen und kommunistischen Terror – ein liberaler österreichischer Journalist, keiner Partei zugehörig. Paul Lendvai schreibt in seinem neuesten Buch über bemerkenswerte Begegnungen, etwa mit Lord Weidenfeld, der ein großer Freund Österreichs war, oder mit Vaclav´ Klaus, von dem man dies nicht behaupten kann. Er kannte die Familie Broda, deren schillernde Geschichte in den Siebzigerjahren bei heimischen Journalisten einfach ausgeblendet wurde (Kreisky kannte sie natürlich und hatte so ein Druckmittel gegen seinen Intimfeind Broda): Der Bruder Engelbert, berühmter Physiker, war einer der erfolgreichsten Atomspione für die UdSSR in Großbritannien, Bruder Christian spielte eine nie aufgeklärte Rolle 1945 in Ried im Innkreis, wandte sich dann ein Jahr später von der KPÖ ab, um eine Traumkarriere bei den Sozialdemokraten zu machen. Heute ist ein Platz in Wien nach diesem Mann benannt. Seine Lebensgefährtin hieß Maria Strasser. Die Ungarin war mit Sandor´ Nogr´adi´ liiert, dem höchsten kommunistischen Politkommissar in Ungarn. Danach verheiratet mit der verstorbenen SP-Zukunftshoffnung Peter Strasser, danach mit Broda bis zu dessen Tod.
Lendvai traf zwar den Kroaten Ivo Sanader und den Slowenen Janez Jansa,ˇ jedoch nie Peter Handke oder Slobodan Miloseviˇc.´ Dennoch schildert er wegen seines Interesses für das einstige Jugoslawien die europaweite Empörung über den Dichter Handke, als dieser den serbischen Kriegsverbrecher in einem maßlos einseitigen, politisch naiven Text verteidigte, bei dessen Begräbnis sprach und Belgrader Ehrenbürger wurde. Nicht nur Lendvai tut sich schwer mit dem Provokateur, der das Nato-Bombardement als „das neue Auschwitz“bezeichnete und damit sein Renommee ramponierte. Selbst der verstorbene serbische Autor Milo Dor etwa qualifizierte den Dichter danach als „ahnungslosen Touristen“ab.
Das Schlusskapitel behandelt den Mythos Macht – die Verführbarkeit der Herrschenden. Und Lendvai scheidet wahres von falschem Charisma. Damit gelingt mühelos die Überleitung zu Bruno Kreisky, dessen Freund und Vertrauter (auch) dieser Publizist war. Dutzende Interviews mit dem „Sonnenkönig“der Siebzigerjahre sind als Zeitungsausschnitte archiviert. Insgesamt umfasst Lendvais Artikelsammlung 44 Bände . . .
Obwohl damals im existenziellen Konflikt zwischen Kreisky und Hannes Androsch im Lager des Kanzlers, bewundert Lendvai heute die Lebensleistung des damals Verstoßenen. Weniger euphorisch ist das Urteil über den früheren Wiener Langzeitbürgermeister Michael Häupl. Der habe durch seine Entschlusslosigkeit mit zu dem verheerenden Zustand der heutigen SPÖ beigetragen.
Faktum bleibt, dass die OsteuropaRedaktion des ORF unter Lendvais Führung (nach einer Idee von Gerd Bacher) durch seine Korrespondenten eine herausragende Rolle bei der Information über die Umbrüche in Österreichs Nachbarschaft gespielt hat. In 50 Sendungen auf dem sonntäglichen Sendeplatz der „Pressestunde“konnte er als Moderator des „Europastudios“eine Vielzahl von kompetenten Persönlichkeiten nach Wien bringen. Sie haben unser Verständnis für die Vorgänge östlich unseres Landes vertieft.
Paul Lendvai: