Ökostrom und das Prinzip Hoffnung
Energiewende. In der Theorie sind 100 Prozent Ökostrom leicht erreichbar. In der Praxis hakt es aber heftig bei den notwendigen Speichersystemen, zeigt eine vom Parlament initiierte Studie.
Bis 2030, so die politische Vorgabe, soll Strom in Österreich zumindest rechnerisch zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen kommen. Das bedeutet unter Berücksichtigung des bis dahin erwarteten Stromverbrauchsanstiegs eine Verdrei- bis Vervierfachung der geförderten Ökostromproduktion aus Windund Sonnenkraft, Biomasse und Kleinwasserkraft.
Geht das so einfach? Immerhin wird dadurch der Anteil des unberechenbaren „Flackerstroms“aus Wind und Sonne stark steigen. Und damit der Bedarf an Speichern, mit denen sich die Produktionsschwankungen sowohl kurzfristig (in der Nacht gibt es keinen Solarstrom) als auch mittelfristig (im Winter gibt es eine ÖkostromUnterversorgung) ausgleichen lassen.
Gibt es die? Das Parlament hat das Austrian Institute of Technology und das Institut für Technikfolgenabschätzung mit einer einschlägigen Studie betraut (und den vor Kurzem erschienenen Endbericht ohne großes Tamtam gut auf der Parlamentshomepage ver
steckt). Ergebnis: Ja, die gibt es. In der Theorie: Da werden kurzfristige Schwankungen mit Pumpspeicherkraftwerken, an PV-Anlagen angeschlossenen Hausbatterien, Batteriekraftwerken und sogenannten Power-to-X-Systemen ausgeglichen. Letztere eignen sich sogar dazu, große Dunkelflauten im Winter zu überbrücken. Und dann wären ja noch die bald zahlreichen Elektroautos, deren Akkus künftig mittels smarten Stromnetzen als Ausgleich dienen können.
Sehr schön, hört sich gut an. Und wie sieht es in der Praxis aus? Ein bisschen durchwachsener. Also: Derzeit ist alles paletti. Die Pumpspeicherkapazitäten reichen aus, und sonst stehen ja auch konventionelle Kraftwerke für Produktionsschwankungen bereit. Und: Der besonders unberechenbare Solarstromanteil (im Winter sinkt die Produktion dramatisch ab) ist noch sehr gering.
Ein bisschen anders sieht es schon aus, wenn man nach den politischen Vorgaben die Ökostromproduktion vervielfacht und gleichzeitig fossile Kraftwerke endgültig einmottet.
Dann, so die Studie, muss man als Erstes einmal die Pumpspeicherkapazität stark erhöhen. Ein paar Projekte sind schon im Realisierungsstadium. Aber so einfach ist das nicht: Praktisch jedes Pumpspeicherkraftwerk stößt im umfangreichen Genehmigungsverfahren auf heftigen Widerstand.
Bleibt die Stabilisierung durch den wachsenden Einsatz von Haus-PV-Systemen mit Batterien (die derzeit allerdings hauptsächlich zur Eigenverbrauchsoptimierung eingesetzt werden). Da sind die Wissenschaftler eher sehr skeptisch: Die Umweltbilanz solcher LiIonen-Akkus sei „nicht eindeutig positiv“, ihre Wirtschaftlichkeit sei „kaum gegeben“, die angestrebte Netzentlastung trete nicht automatisch ein, und das Recycling sei derzeit auch nur theoretisch geklärt. Vor allem das Wirtschaftlichkeitskriterium treffe auch bei größeren Batteriekraftwerken zu.
Und bei chemischen Speichersystemen (Power-to-X, etwa über den Zwischenschritt Wasserstoff ), die die Winter-Versorgungslücke überbrücken könnten, sei die Marktreife noch nicht wirklich erreicht. Sie stünden erst an der „Schwelle zur industriellen Nutzung“. Und: Hohe Kosten sowie ein jämmerlicher Wirkungsgrad machten einen wirtschaftlichen Einsatz bei Ökostrom uninteressant.
Das hört sich jetzt nicht unbedingt nach „gemähter Wiese“an. Tatsächlich schreiben die Studienautoren in ihrem Fazit, dass es noch „großen und vielfältigen Forschungsbedarf“gäbe.
Etwas einfacher ausgedrückt: Das Projekt „100 Prozent Ökostrom“beruht zu einem nicht ge
ringen Teil auf dem Prinzip Hoffnung. Deswegen ist es natürlich nicht falsch. Am Beginn eines Projekts muss keineswegs alles bis ins Detail geklärt sein. Man muss aber auch aufpassen, dass man, wenn die Dinge nicht so laufen, wie man das erwartet hat, nicht aus ideologischen Gründen eisern an den Ursprungsplänen festhält.
Da hätten wir nettes Anschauungsmaterial beim nördlichen Nachbarn (der trotz einer 650 Mrd. Euro teuren Energiewende seine kurzfristigen Klimaziele verfehlen wird): Dort wird ja die beinahe gleichzeitige Abschaltung der Kern- und Kohlekraftwerke nach Ansicht nicht weniger Experten dazu führen, dass in hohem Maße Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen wird importiert werden müssen, um das ökostromgeflutete Netz zu stabilisieren.
Eine „Dekarbonisierung“, die das Problem nur über die Grenze verlagert, kann aber nicht der Stein der Weisen sein.