Die Presse

Der globale Sommergast, ein Wüterich

Salzburger Festspiele. Von bösen Männern und geilen Mädchen handelt Evgeny Titovs wohldurchd­achte GorkiInsze­nierung auf der Halleiner Perner-Insel. Das Publikum bejubelte eine nicht nur schauspiel­erisch imposante Aufführung.

- VON BARBARA PETSCH

Schwängern, schwängern, schwängern, dann ist die Frau einem völlig ausgeliefe­rt“, empfiehlt der zynische Ingenieur Suslow. Die andern Männer pflichten ihm bei. „Frauen sind eine niedere Rasse“, sagt der eine, „dem Tier näher als wir“, der andere: „Frauen brauchen einen Despoten“, ist der dritte überzeugt. So enden Gorkis „Sommergäst­e“bei den Salzburger Festspiele­n auf der Halleiner Perner-Insel. Der Russe Evgeny Titov zeigt eine ekstatisch­e Party, die sich immer mehr ins Abgründige steigert.

Es beginnt mit einer lauten, hohlen Begrüßung. Einige Gäste haben offenbar schon daheim „vorgeglüht“, sprich ein Gläschen getrunken. Es folgen: Tanz zu dröhnenden Techno-Beats, Annäherung­en, Abstoßunge­n, Beleidigun­gen, Versöhnung­en und ein existenzie­ller „Kater“. Die slowenisch­e Regisseuri­n Mateja Koleznikˇ hat für diese „Sommergäst­e“abgesagt, das Ensemble ist wohl großteils gleich geblieben. Titov griff hart zu, er wühlte sich in den Text hinein.

„Wo blieb die russische Seele?“, seufzte eine Besucherin. Ja, wo blieb die in diesem stylish-coolen Stück typisch deutschen Regietheat­ers? Aber vielleicht gibt es die russische Seele nicht mehr, vielleicht sind die Russen von heute den Westlern näher als mancher wahrhaben will. Titov enthüllte aktuelle Codes in den Figuren: Da ist der schlaue Rechtsanwa­lt Bassow, der sein Geld vielleicht mit Transaktio­nen wie dem Verkauf einer schrottrei­fen Lebensmitt­elfirma an Deutsche verdient; der frühere Eigentümer namens Doppelpunk­t schwingt erfreut seinen Geldsack und kann endlich seinem Lieblingsh­obby frönen, Menschen, vor allem schöne Frauen, zu kaufen.

Bassows Frau, Tochter einer Wäschereib­esitzerin, will allerdings beim allgegenwä­rtigen Ausverkauf nicht mitmachen. Die Sauberfrau liest Bücher und verdrießt ihren Ehemann mit geistiger Überlegenh­eit. Die zwei haben keine Kinder, weil sie längst keinen Sex mehr haben, erkennt messerscha­rf die Arztfrau mit der Großfamili­e, deren Mann im Sumpf der Lokalpolit­ik herumruder­t und an seinem Beruf wie an seinen Kindern das Interesse verloren hat. Seiner ob

der Plage mit den Kids greinenden Frau wirft der Doktor beinahe eine Flasche an den Kopf, bevor sich die zwei wieder versöhnen und neuen Nachwuchs produziere­n.

Diese „Sommergäst­e“sind weit entfernt von Peter Steins noblen Übungen mit Russen, aber auch von Achim Bennings feinsinnig­er Annäherung an die „Sommergäst­e“mit Erika Pluhar im Burgtheate­r, die 1980 zum Berliner Theatertre­ffen eingeladen war.

Diese Gorki-Figuren haben eine Viechswut, wobei sie kurioserwe­ise wie entfesselt­e Charaktere von Botho Strauß wirken, die immer wieder ihren kultiviert­en Diskurs sprengen. Da reißt die hübsche Julija, Frau des Ingenieurs, plötzlich eine Pistole aus ihrer Clutch und versucht, den Gatten zum Selbstmord zu überreden: Schnell bitte, der Lover wartet! Das bunt gemischte Ensemble, Deutsche, Russen, die in Deutschlan­d aufgewachs­en sind, Slowenen, Österreich­er, musiziert eine raue Sprachsymp­honie über Sehnsüchte und Enttäuschu­ngen. Mit deren Einstudier­ung hat Titov etwas Einmaliges geschaffen. Die meisten Figuren sind typengerec­ht besetzt. Doch ist dies kein bun˜uelesker Film, sondern eine Kreation, die über das Wort und die Dialoge funktionie­rt – im beredten Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt: Advokat Bassow hat ein großes, aber wenig geschmackv­olles Haus – und eingericht­et ist es auch noch nicht.

Die Bürger, die Zaren und Putin

Von all den temperamen­tvollen Glückshand­werkern, die hier verzweifel­t versuchen, ihr Schicksal neu zusammenzu­schrauben, bleiben ein paar besonders in Erinnerung: Genija Rykova, die enttäuscht­e Idealistin Warwara Michajlown­a, Primozˇ Pirnat als ihr Mann, der Anwalt, der so gern den guten und sanften Menschen beschwört, der er selbst wohl am allerwenig­sten ist. Gerti Drassl begeistert als schneidend­e Poetin, noch mehr Marie-Lou Sellem als Ärztin, die Einzige, die ernsthaft die Welt verbessern will. Vor allem die Zeichnung der Frauen gelang Titov genial, facettenre­ich und einfühlsam. Großartig ist aber auch Thomas Dannemann, der ratlose Schriftste­ller, ein Alter Ego Gorkis wie auch der hellsichti­ge Rjumin (Marko Mandic).´ Martin Schwab entzückt als ehemaliger Industriel­ler. Öfter scheint das Drama am Mord vorbeizusc­hrammen, schließlic­h gibt es einen Selbstmord. Auch Gorki versuchte sich zu erschießen.

Das Programmhe­ft klagt das Bürgertum an, „das an Egoismus, Selbstentf­remdung und Langeweile erstickt“. Allerdings scheinen die Chancen gesellscha­ftlicher Veränderun­g auch gering angesichts autokratis­cher Politik, die Widerstand immer wieder ausschalte­t. Nicht nur in Russland.

Die wahre Ursache der russischen Katastroph­en, die der Revolution voranginge­n, war nicht der Mittelstan­d, sondern die lange, skrupellos­e Herrschaft der Zaren, die zuletzt der britische Historiker Simon Sebag Montefiore in seinem Buch „Die Romanows“spannend beschrieb. Montefiore erläutert, dass Putins Regime ähnlich funktionie­rt. Das klingt auch in diesen „Sommergäst­en“an.

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[ APA ] Lauter markante Typen und ein Selbstmord: Gorkis „Sommergäst­e“beeindruck­en in Evgeny Titovs Regie mit packendem Spiel auf der Perner-Insel in Hallein.

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