Der Silbenstecher in der Dunkelheit
Salzburg II. Christian Gerhaher und Gerold Huber boten einen düsteren Liederabend.
Schon wenn Christian Gerhaher eingangs eine Auswahl aus Benjamin Brittens „Purcell Realizations“anstimmt, ist Schluss mit lustig – an diesem Liederabend, dessen Programm ganz zwischen Zwielicht und Dunkelheit verharrt. Brittens Bearbeitungen sind beim intellektuellsten Liedersänger deutscher Zunge nicht einfach praktische Notenausgaben, die die lange Zeit fast vergessene Musik des englischen Barockmeisters Purcell auf unbekümmerte Weise neu zugänglich machen würden. Aber sie sind für Gerhaher auch keine (mittlerweile philologisch fragwürdigen) Umdeutungen von anno dazumal, aus der Zeit vor der Entdeckung des „Originalklangs“– was bedeuten würde, dass sie aus einer gewissen historischen Nachsicht heraus zu rehabilitieren wären. Nein, der Bariton und sein großartiger Klavierpartner Gerold Huber begreifen diese Lieder als vollgültige, tendenziell sogar verstörende Werke des 20. Jahrhunderts. Koloraturen verwandeln sich da von zeitbedingten Verzierungen oder dem zeitlosen Ausdruck vokalen Frohsinns flugs in fast angestrengte expressionistische Wendungen und Windungen. Die Kantilenen rückt Gerhaher weit ans Rezitativische. Die Kontraste zwischen kargem, geradem Klang nah am Sprechtonfall und vollem Vibrato schärft er bewusst.
Federkiel statt Daunenkissen
In Brittens düsterem Zyklus „Songs and Proverbs of William Blake“gibt es erst recht kein Zurücksinken in harmonische oder melodische Daunenkissen. Eher glaubt man das Kratzen eines Federkiels auf Pergament zu vernehmen. Es ist, als würden Elemente der spezifischen Tongebung des Tenors Peter Pears, Brittens Lebenspartners, der die hier vertonten Blake-Texte zusammengestellt hat, und der überdeutlichen Rhetorik des Uraufführungsinterpreten Dietrich Fischer-Dieskau in Gerhahers Deutung zu einer Art von HyperAuthentizität verschmelzen.
Das funktioniert nicht ohne Verluste. „Ich bin ja kein Musiker“, beteuert Gerhaher im Programmheft in einem Porträt von Monika Mertl. Manchmal bedauert man es. Gewiss ist es faszinierend, wenn in Mussorgskis „Liedern und Tänzen des Todes“der Nichtmusiker, also der Sänger in der Stimmmalerei alle Extremwerte zwischen Donnerdröhnen und Blässe auskostet.
Oder wenn bei Brahms der mit aller Raffinesse fingierte Volksliedtonfall so effizient unterminiert wird, dass etwa die Schattierungen der Dämmerung in „Anklänge“(über ein an ihrem Hochzeitskleid stickendes Mädchen) beinah via Gruseleffekte zur Gewissheit eines nahen Todesfalls führen. Aber sängerisch führt diese Expedition bis hinein ins Manierierte.
Da hält man sich zwischendurch gern an das famose Klavierspiel Hubers, der alles aus Ruhe, Gleichmaß und Legato heraus entwickelt. Gerhaher hingegen liegt die Rolle des obersten Silbenstechers und Wortausdeuters mehr als die eines bloßen Künders von süßen Kantilenen – bis zur letzten, schottischen Britten-Zugabe.