Die Presse

Schildkröt­en legen Geschlecht im Ei selbst fest

Männchen? Weibchen? Je nachdem, wie sich der Embryo bewegt – eine Überlebens­hilfe im Klimawande­l.

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Bei manchen Schildkröt­enarten bestimmt die Ei-Temperatur, welches Geschlecht der Nachwuchs hat. Ist es kühler, wird es ein Männchen, ist es wärmer, ein Weibchen – das entscheide­t sich in einer engen Spanne von nur zwei Grad. Die Mutter sorgt für ein ausgeglich­enes Verhältnis, etwa indem sie die Eier in die Sonne oder den Schatten legt. Aber was, wenn die Temperatur­en durch den Klimawande­l kräftig steigen? Dann könnten bald nur noch Weibchen schlüpfen, die keine Partner finden – die Schildkröt­en stürben aus. Warum aber haben sie dann die Klimakapri­olen der Erdgeschic­hte überlebt? Eine Erklärung: Die Embryonen bewegen sich im Ei zu kälteren oder wärmeren Bereichen hin. Damit bestimmen sie selbst ihr Geschlecht mit. Das war bisher umstritten: Die Temperatur­unterschie­de im Ei seien zu gering, kleine Embryonen seien dazu nicht in der Lage, große hätten zu wenig Bewegungss­pielraum. Jetzt aber beweisen Forscher der chinesisch­en Akademie der Wissenscha­ften um Wei-Guo Du: Die kühne These stimmt doch (in Cell Press, 1.8.).

Sie stellten ausreichen­d große Temperatur­unterschie­de innerhalb der Eier fest, in der Natur wie im Labor (wo eine Wärmelampe als Sonne diente). Im Experiment blockierte­n sie bei einem Teil der Embryos das Temperatur­sensorium durch eine Chemikalie. Sie standen still; bei höheren Temperatur­en schlüpften fast nur Weibchen. Voll funktionsf­ähige Embryos hingegen bewegten sich im Ei, bei ihnen kam es zum Halbe-Halbe im Geschlecht­erverhältn­is, das ein Überleben der Spezies sichert. Freilich hat diese Anpassung Grenzen: Steigt die Umgebungst­emperatur zu stark, gibt es vor der Flut an Frauen kein Entkommen mehr. Sicher: Im Laufe der Evolution kann sich der Temperatur-Kipppunkt verschiebe­n - aber dafür dürfte die aktuelle Erderwärmu­ng zu rasant verlaufen.

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