Macht Spinat wirklich stark?
Interview. Der erste und bisher einzige Präsident der Christian-Doppler-Gesellschaft, Reinhart Kögerler, übergibt sein Amt nach 25 Jahren an den ehemaligen Boku-Rektor Martin Gerzabek. Im Gespräch mit der „Presse“zieht er Bilanz.
Forschungsfrage: Die These vom grünen Wundermittel bekommt neuen Aufwind.
Die Presse: Die Christian-Doppler-Gesellschaft (CDG) fördert anwendungsorientierte langfristige Grundlagenforschung zu Fragen aus der Industrie. Warum sollte die Industrie an Grundlagenforschung interessiert sein? Reinhart Kögerler: Man mag jetzt vielleicht denken, dass es für Unternehmen günstiger wäre, die Forschung ganz eng auf ein bestimmtes Problem zu konzentrieren. Aber das Gegenteil hat sich bewahrheitet. Je tiefer man in die Grundlagen geht, umso größer ist das Spektrum der dadurch ermöglichten Innovationsmöglichkeiten. Oder um es mit den Worten eines Kollegen vom Institute for Science and Technology in Gugging zu sagen: Je tiefer ich in den Grundlagen grabe, desto größer ist der Kegel der Konsequenzen und umso weiter bin ich vom Rand der Möglichkeiten entfernt. Man löst also vielleicht nicht das ursprüngliche Problem, aber vielleicht ein anderes, das viel interessanter ist.
Für ein Christian-Doppler-Labor müssen die Unternehmen dennoch die Hälfte der Kosten übernehmen. Wäre es nicht sinnvoller, ihnen einen größeren Teil der Last abzunehmen? Vor 1995 war das noch der Fall, da wurden die CD-Labors zu hundert Prozent von der Österreichischen Industrieholding AG (ÖIAG), der die CDG damals angehörte, übernommen. Doch das war nicht sehr effizient, kaum eines der operativ tätigen Tochterunternehmen hat sich für die Forschungsergebnisse interessiert. Wir haben dann einen Umbau durchgeführt und die CDLabors für die gesamte österreichische Wirtschaft zugänglich gemacht, im Gegenzug mussten die Unternehmen die Hälfte der Forschungskosten selbst zahlen – so wurde dann auch stärker darauf geachtet, dass diese Labors effizienter arbeiten. Was waren seitdem Ihre größten Erfolge? Einerseits unser Wachstum, durchschnittlich zwölf Prozent pro Jahr. Vor allem aber der dahinterstehende Sinneswandel: Dass praktisch alle unsere großen Industrieunternehmen – wir decken ja mit ungefähr 180 Unternehmen 70–75 Prozent der österreichischen industriellen Wertschöpfung ab – erkannt haben, dass es sinnvoll ist, in dieser Grundlagennähe langfristig zu forschen. Das ist der große Erfolg.
Ein Beispiel dafür? Es gibt viele Beispiele für den positiven Effekt der Grundlagenforschung auf ein Unternehmen, etwa beim Voestalpine-Konzern: Dessen Unternehmen waren 1995 in keiner guten Situation, heute sind sie als Hightech-Schmieden im Werkstoffbereich an der Spitze in Europa, auch weil sie in den vergangenen 25 Jahren mit 40 CDLabors extrem in die Grundlagenforschung investiert haben. Auch viele andere besonders erfolgreiche Firmen wie Infineon oder Böhringer Ingelheim haben stark von den CD-Labors profitiert.
Wieso gilt Österreich trotz dieser Erfolgsgeschichten im europäischen Vergleich nur als „starker Innovator“und nicht als Innovationsführer? Man muss wissen, dass in der Industrie Forschung allein nicht zu Innovationsleistungen führen muss. Auch die Firmenstruktur muss entsprechend ausgerichtet sein, das Marketing muss stimmen etc. Wir von der CDG decken hier nur die Forschung ab, und unser Sektor ist brillant. Andere Sektoren dagegen nicht, und man weiß auch, welche: Wir haben sehr wenig Gründungsfinanzierung, kaum Geld für junge Unternehmen in der Wachstumsphase, wir haben zum Teil eine Überregulierung und ein Problem mit mangelndem Fachkräftenachwuchs.
Reinhart Kögerler (76) war von 1995 bis 2019 Präsident der ChristianDoppler-Forschungsgesellschaft und ist seit 1981 Professor für Theoretische Physik an der Universität Bielefeld. Nach seiner Promotion an der Universität Wien im Jahr 1969 folgten Auslandsaufenthalte am Kernforschungszentrum Cern und in der ehemaligen Sowjetunion. 1992–1999 war er Leiter der Sektion IX, Technik und Innovation, im Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten. Warum fördert die CDG auch einige wenige sozialwissenschaftlich forschende CD-Labors? Viele unserer Unternehmensmitglieder im Kuratorium waren da zu Beginn etwas skeptisch. Wenn man in eine Richtung geht, die mehr gesamtgesellschaftliche Fragestellungen betrifft, muss man den Unternehmensbegriff erweitern und nicht nur produzierende Unternehmen im Auge haben, sondern auch Dienstleister wie Versicherungen, Banken, Kliniken dazuzählen. Und da haben wir erste Schritte gesetzt – aber bisher viel zu wenige. Das ist ohne Zweifel ein brandheißes Thema, über das wir seit drei, vier Jahren intensiv nachdenken.
Wenn Sie noch einmal von vorn beginnen könnten, was würden Sie in Ihrer Präsidentschaft anders machen? (Denkt lang nach.) Grundsätzlich anders? Nichts. Aber es bleiben noch viele Dinge zu tun, für die wir noch keine Zeit hatten. Die Internationalisierung der CDG zum Beispiel. Mit der neuen EU-Kommission müssen wir dann auch schauen, wie wir uns auf europäischer Ebene besser vernetzen können. Und wie wir erreichen können, dass ein kleiner Teil des EUForschungsprogramms von 100 Milliarden Euro expliziert für die anwendungsnahe Grundlagenforschung investiert wird.
Welchen Rat würde Sie Ihrem Nachfolger Martin Gerzabek für seine Präsidentschaft geben? Ihm einen Rat zu geben wäre eine Anmaßung, er ist ein erfahrener Wissenschaftsmanager und ein optimaler Nachfolger. Aber wenn er mich fragt, würde ich ihm vielleicht die Internationalisierung der CDG ans Herz legen. Und die atypischen Unternehmen für gesamtgesellschaftliche Fragestellungen. Sie zu stärken würde sogar erstmals rechtfertigen, unsere Förderquote zu ändern.