Putins Probleme mit der Generation Smartphone .........................
Russland. Die Staatsmacht versteht sich auf Repression. Eine gemeinsame Sprache mit der technologieaffinen Hauptstadtjugend findet der Kreml aber nicht.
Moskau. Sie wissen, wovon sie reden. „Zu Beginn und am Ende muss man gut aufpassen“, erzählen Kamila und Igor. „Das sind die gefährlichsten Momente.“Kamila und Igor sprechen von Kundgebungen in Russland und vom Einschreiten der Polizei. Von der Gefahr, verhaftet zu werden. Die beiden Moskauer Teenager (voller Name der Redaktion bekannt, Anm.) sind zwei von mehreren Tausend Teilnehmern, die vergangene Woche an den Protesten in der russischen Hauptstadt teilgenommen haben. Die beiden Jugendlichen hatten Glück, sie wurden nicht festgenommen.
Am heutigen Samstag werden sie wieder dabei sein, den Warnungen der Behörden zum Trotz. „Natürlich haben wir Angst“, sagen die beiden Schüler bei einem Treffen in einem Moskauer Selbstbedienungscafe,´ in dem Sandwiches und Sushi angeboten werden. „Aber wir haben nichts zu verlieren.“
Geboren sind die beiden Moskauer in den Jahren 2001 und 2002 – also während der ersten Amtszeit Wladimir Putins. Seit ihrer frühesten Kindheit hat es in Russland nur einen einflussreichen Politiker gegeben: den heutigen Kreml-Chef.
Inzwischen sind sie Teil einer regierungskritischen Jugendszene, die von der staatlichen Propagierung konservativ-traditioneller Werte, dem wachsenden Einfluss der Kirche, Patriotismus und der Sinnsuche in der „großen“Geschichte befremdet ist. Das entspricht der Stimmung in der Hauptstadt, aber nicht im Rest des Landes. Nur in Moskau überwiegen laut einer aktuellen Umfrage die Respondenten, die eine Verlängerung der Amtszeit Putins nach 2024 ablehnen. In allen anderen Regionen ist es umgekehrt.
Am Beispiel der beiden Jugendlichen zeigen sich die Schwierigkeiten des Kreml im Umgang mit jungen Großstädtern. Doch bisher ignoriert die russische Führung die Forderungen dieser Generation. Denn die Jugend mag furchtlos ihren Körper einsetzen, über Macht und Mittel verfügt sie nicht.
Bei dem Konflikt geht es um die Erfüllung politischer Versprechen, um die Handhabe neuer Technologien und um Kommunikation. Denis Wolkow, Vizechef des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum, bringt die Herausforderung im Gespräch mit der „Presse“auf den Punkt: „Die Staatsmacht ist wie aus einer anderen Welt. In den Augen der Jugend wirkt sie physisch und moralisch veraltet, nicht zeitgemäß.“Versuche der Führung, mit der jüngeren Generation ins Gespräch zu kommen, verliefen meist nicht sehr erfolgreich. „Man findet keine gemeinsame Sprache“, sagt Wolkow.
Befremdlich wirkt derzeit etwa der Moskauer Bürgermeister, Sergej Sobjanin. Nach der polizeilichen Auflösung der Kundgebung in der Vorwoche war er für mehrere Tage von der Bildfläche verschwunden. Am Dienstag äußerte er sich erstmals in einem choreografierten Interview mit einer Lokaljournalistin zu den Ereignissen. Steif stand er vor dem Luschniki-Stadion und sprach wie ein Roboter von „gut geplanten Massenunruhen“. Er beschuldigte die Demonstranten, das Bürgermeisteramt stürmen zu wollen. Die Polizisten, denen er für die Pflichterfüllung dankte, seien zur Gewaltanwendung gezwungen gewesen. Viele der Protestierenden seien nicht aus der Hauptstadt selbst gewesen, sondern angereist. Sobjanin stammt selbst aus Sibirien, ein Umstand, der immer wieder für Spott herhalten muss. „Das ist nicht Simbabwe, Leute“, erlaubte sich der Stadtchef schließlich eine politisch unkorrekte Schelte gegen die „wilde“Opposition. Die Reaktion der Internet-Generation auf dem YouTube-Kanal des Fernsehsenders: 800 Likes und mehr als 11.000 Dislikes.
Wer schaut hier noch fern?
Auch Kamila und Igor beeindruckt Sobjanins Standpauke nicht – im Gegenteil. Es hat sie in ihrer Gegnerschaft zu den Kreml-treuen Behörden nur bestärkt. „Die Staatsmacht bringt die Leute selbst gegen sich auf. Immer mehr werden politisiert.“Nicht erst seit der Debatte über die Lokalwahlen sind die beiden politisch engagiert. Seit etwa zwei Jahren besuchen Kamila und Igor immer wieder Kundgebungen und lesen Oppositionsseiten im Internet. Fernsehen, für die ältere Generation noch immer Informationsmedium Nummer eins, schauen die beiden nicht mehr. „Da erfährt man nichts“, lautet das Urteil der Teenager.
Damit liegen sie im Trend: Nur 42 Prozent der Russen bis 25 Jahre beziehen Informationen aus dem TV. Gesamtgesellschaftlich sind es 72 Prozent (vor zehn Jahren waren es 94 Prozent). Immer
mehr holen sich ihre Informationen aus dem Internet.
Hier begann auch Igor und Kamilas Politisierung. Der russische Staat hat in den vergangenen Jahren die Freiheit im Internet beschränkt. Strafen gegen Kommentare wegen „Staatsbeleidigung“und Extremismus wurden eingeführt und missliebige Seiten gesperrt. Den Teenagern missfällt das – wie vielen anderen ihrer Generation, die mit den neuen Kommunikationstechnologien groß geworden sind. Sie begreifen es als ungerechtfertigten Eingriff des Staats in ihre Lebenswelt. Ganz anders als die Entscheidungsträger im Kreml: Bekanntlich hält Präsident Wladimir Putin das Internet für ein Projekt des US-Geheimdiensts und kommt gänzlich ohne Smartphone aus.
Wenn man die Schüler nach ihren politischen Forderungen fragt, nennen sie echte, freie Wahlen und das Zulassen politischer Konkurrenz. „In Russland gibt es nur Putin, aber keine Politik“, beschreibt Kamila den Mangel an politischen Diskursen. Einen „sozialen Polizeistaat“, nennt Igor sein Land sarkastisch. Die beiden geben sich auch ästhetisch als Anhänger einer alternativen Jugendkultur zu erkennen. Igor trägt seine hellgrün gefärbten Haare kinnlang, Kamilas Lippen glänzen in dunklem Lila. „Neformaly“nennt man sie treffend in Russland.
Adaption oder auswandern
Die beiden Teenager geben sich betont rebellisch. Aber auch Soziologe Wolkow bemerkt eine allgemeine sich vergrößernde Proteststimmung. „Die Jugend ist einfach ein Teil davon“, sagt er. Hintergrund der Unzufriedenheit sind die stagnierende Wirtschaft, die sinkenden Reallöhne und bevorstehende Einschnitte wie die Pensionsreform. Das Rating Putins falle langsam, doch das System profitiere von der Alternativlosigkeit, so Wolkow: „Es gibt niemanden außer dem Kreml-Chef. Das ist die Grundlage der Unterstützung für das Regime.“Gewachsen sei zwar die Zahl jener, die keine politische Persönlichkeit mehr anspreche. Auswirkungen habe das vorerst aber keine.
Anders als Kamila und Igor, die auf eine „Revolution“der Wähler hoffen, sieht der Soziologe in der aktuellen Protestbewegung keine ernste Herausforderung für die Mächtigen. Das Thema politische Partizipation sei zu marginal, um über das urbane Segment hinaus Menschen zu erreichen. Den russischen Durchschnittsbürger könne wohl nur eine tiefe wirtschaftliche Krise aufrütteln. Solange es aber nur langsam abwärtsgehe, sei kein Aufstand zu erwarten. „Adaption“, sagt Wolkow. Die Menschen passen sich den langsam verschlechternden Rahmenbedingungen an.
Den Unmut der Generation Smartphone nimmt der Kreml in Kauf. Wolkow bringt es mit einem Vergleich auf den Punkt: „Russland ist nicht Ägypten.“In Russland gibt es keinen demografischen Druck. Die Bevölkerungsentwicklung ist rückläufig. Und die Jugend in der Minderheit. Menschen wie Igor ziehen indes individuelle Konsequenzen. Der 17-Jährige will in Tschechien studieren. Wenn man wählen kann, liegt die Freiheit außerhalb der Russischen Föderation.