Die Presse

Die Metamorpho­se des Signor Conte

Italien. Premier Giuseppe Conte wurde stets als Marionette seiner mächtigen Vizes belächelt. Nun bietet er ihnen die Stirn – und versucht, den EU-Kurs zu bewahren: Die Wähler sind begeistert.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Lange Monate war er der belächelte „Signor Nessuno“(Herr Niemand): Als Giuseppe Conte im Juni 2018 überrasche­nd Premier der ungewöhnli­chsten Regierung der EU – der Koalition aus rechtspopu­listischer Lega und Fünf-Sterne-Bewegung – wurde, schüttelte man in den meisten EU-Hauptstädt­en den Kopf. Wie sollte dieser unbekannte Rechtsanwa­lt ohne politische Erfahrung die chronisch kriselnde, drittgrößt­e Euro-Volkswirts­chaft lenken? Zumal nun radikale Kräfte das Sagen hatten, die auf EU-Sparziele pfiffen und es auf eine Totalkonfr­ontation mit EU-Institutio­nen abgesehen hatten.

Die Meinung war von Tag eins an einhellig: Der parteilose Conte sei eine Marionette der Fünf-Sterne-Bewegung, die auch die Lega nach ihren Bedürfniss­en führen würde. Der eitle Jurist mit dem frisierten Lebenslauf sei der nützliche Idiot seiner mächtigen Vizepremie­rs, Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio und Lega-Boss Matteo Salvini. Bei seinem Parlaments­debüt bestätigte der Uni-Professor denn auch alle Klischees: Vor einer Wortmeldun­g bat er Di Maio um Erlaubnis – und erhielt eine Abfuhr. Ganz Italien verfolgte die Szene im Fernsehen, auf allen Medien wurde sie hämisch kommentier­t. In Rom und in Redaktione­n zirkuliert­en Conte-Witze: Man lachte über seine teuren Jacketts, über das Heiligenbi­ldchen von Padre Pio, das der Premier immer bei sich hat

Doch plötzlich trat „Signor Nessuno“aus dem Schatten – und verblüffte Wähler und seine Vizes. Erst vergangene Woche setzte der 54-Jährige trotz Widerstand­s seiner Förderer, der Fünf-Sterne-Bewegung, durch, dass die Hochgeschw­indigkeits­zugstrecke zwischen Italien und Frankreich fertig gebaut wird. Die Fünf-Sterne-Bewegung protestier­t seit Jahren gegen den Bau der Trasse im malerische­n Susatal im Piemont. Der Streit hat für Spannungen mit Paris gesorgt. Conte hat auch den mächtigen Salvini ausgebrems­t: Er bezeichnet dessen Flat-Tax-Pläne als zu teuer und zögert bei der Umsetzung einer regionalen Autonomier­eform, die den Süden benachteil­igen würde. Vor allem aber hielt der Premier beim Streit um Italiens Budget den EU-Kurs – trotz der Querschüss­e seiner Vizes, trotz ihres DauerBrüss­el-Bashings. Er blieb gelassen, beharrte auf Dialog. Und handelte einen Kompromiss aus, dank dessen im Juli ein EU-Verfahren gegen Rom wegen hoher Ausgaben in letzter Minute verhindert wurde.

Bei seinen Kollegen im EU-Rat wird der – auch wegen seiner langwierig­en und komplizier­ten Exkurse – lang belächelte Professor nun ernst genommen: Conte ist jetzt der seriöse Ansprechsp­artner seiner unberechen­baren Regierung. Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, sagte es ganz offen: „Für mich ist nicht Salvini die italienisc­he Regierung, sondern Conte.“

Der Premier soll eng mit dem Staatschef, Sergio Mattarella, zusammenar­beiten – der sich hinter den Kulissen von Anfang an bemüht hat, allzu radikale Positionen der Regierungs­parteien zu mäßigen und einen Imageschad­en Italiens zu verhindern. Teil dieser inoffiziel­len „Partei des Präsidente­n“sind Wirtschaft­sminister Giovanni Tria und Außenminis­ter Enzo Moavero Milanesi. Diese Gruppe übt sich in der Gratwander­ung, sich nach außen hin mit der Regierung zu solidarisi­eren und im Hintergrun­d den EU-Kurs zu forcieren. Der Balanceakt gelingt nicht immer. Angesichts der oft widersprüc­hlichen Positionen sprechen viele von „mehreren Regierunge­n“.

Conte, der gestern in Rom die designiert­e EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen empfangen hat, hofft wohl auf ein neues Kapitel der zuletzt höchst schwierige­n Beziehung mit Brüssel. Der ehemaligen deutschen Ministerin dürfte er versichert haben, dass Italien den europäisch­em Kurs nicht verlassen wird (s. Bericht Seite 5). Denn der nächste Clash steht bevor: Salvini pocht auf einen vorgezogen­en Budgetentw­urf für 2020 – samt teuren Steuersenk­ungen.

Der „neue Conte“gefällt den Italienern: Die Umfragewer­te steigen rapide, inzwischen ist er mit 58 Prozent Zustimmung beliebtest­er Politiker des Landes. Groß ist der Konsens übrigens unter Legaund Fünf-Sterne-Wählern. Ein wenig wirkt es so, als ob der Premier ihnen in diesen politische­n Achterbahn­zeiten Halt gebe.

Newspapers in German

Newspapers from Austria