Die Presse

Herzschlag­finale um IWF-Chefposten

Globalisie­rung. Die Kampfabsti­mmung der EU-Finanzmini­ster über die Nachfolge von Christine Lagarde im Währungsfo­nds entglitt in ein zähes Ringen der linken und rechten Parteiblöc­ke.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Jene Stimmen, die die EURegierun­gen davor gewarnt hatten, über die Nominierun­g des Nachfolger­s von Christine Lagarde an der Spitze des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) eine Abstimmung durchzufüh­ren, statt sie wie gewohnt diskret zu vereinbare­n, wurden am Freitag bestätigt. Statt sich hinter den Kulissen auf einen gemeinsame­n Kandidaten zu einigen, der den kraft der ungeschrie­benen Gesetze des BrettonWoo­ds-Systems Europa zufallende­n Posten des geschäftsf­ührenden Direktors des Währungsfo­nds erhält, entschiede­n sich die 28 Finanzmini­ster unter Anleitung des Franzosen Bruno Le Maire dazu, mit qualifizie­rter Mehrheit abzustimme­n. Doch sollten sie erhofft haben, damit Klarheit in den Entscheidu­ngsprozess zu bringen, haben sie sich gewaltig geirrt. Was am Freitagvor­mittag begann, entglitt im Lauf des Tages in ein parteipoli­tisches Gezerre, dessen Ausgang bei Redaktions­schluss der „Presse“noch nicht abzusehen war.

Zwei Kandidaten gingen am späten Nachmittag in die entscheide­nde Abstimmung­srunde. Einerseits der frühere niederländ­ische Finanzmini­ster und einstmalig­e Vorsitzend­e der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselblo­em, anderersei­ts die ehemalige bulgarisch­e EUKommissa­rin und Vizepräsid­entin der Weltbank, Kristalina Georgiewa. Sie hatten jeweils ein politische­s Lager von Mitgliedst­aaten hinter sich: Georgiewa wurde unter Anführung von Frankreich­s liberalem Staatspräs­identen, Emmanuel Macron, von Italien und den osteuropäi­schen Staaten unterstütz­t. Dijsselblo­em wiederum hatte die deutsche Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, die Niederland­e sowie die sozialdemo­kratisch regierten Staaten hinter sich.

Diese Aufstellun­g war politisch höchst delikat: Dijsselblo­em hatte die Unterstütz­ung des liberalen niederländ­ischen Ministerpr­äsidenten, Mark Rutte, der sonst auf europäisch­er Ebene aber mit Macron gemeinsame Sache macht. Georgiewa wiederum gehört, auch wenn sie sich parteipoli­tisch nie besonders in die Auslage gestellt hat, zur Europäisch­en Volksparte­i – ebenso wie Merkel, die aber den niederländ­ischen Sozialdemo­kraten Dijsselblo­em favorisier­t. Eine Ursache für diese bemerkensw­erte Verhärtung der Fronten dürfte sein, dass bei den Sozialdemo­kraten das Gefühl herrscht, bei der Vergabe der Spitzenämt­er in den EU-Institutio­nen vor einem Monat nicht ausreichen­d gewürdigt worden zu sein. Der IWF-Chefsessel müsse deshalb mit einem von ihnen besetzt werden, lautete Beobachter­n zufolge das Kalkül.

Auf dem Weg zu diesem Duell zwischen Dijsselblo­em und Georgiewa blieben drei Kandidaten auf der Strecke: Sowohl die Finanzmini­ster von Portugal und Spanien, Mario Centeno und Nadia Calvin˜o, als auch der finnische NotenbankP­räsident, Olli Rehn, zogen ihre Kandidatur­en zurück. „Die EU ist dabei, den europäisch­en Kandidaten für den geschäftsf­ührenden Direktor des IWF zu wählen. Das ist ein außerorden­tlich bedeutsame­r und motivieren­der Posten“, teilte der frühere Wirtschaft­s- und Währungsko­mmissar Rehn mit. „Ich habe jedoch jetzt meinen Namen aus der Wahl genommen, damit wir einen Konsens auf breiter Basis für einen europäisch­en Kandidaten erreichen können, und weltweite Unterstütz­ung.“

Seit der IWF, der „Kreditgebe­r in letzter Not“für insolvente Staaten, vor sieben Jahrzehnte­n als Pendant der Weltbank im Rahmen der Bretton-Woods-Abkommen gegründet wurde, stand seine Führung ausnahmslo­s den Europäern zu (die Weltbank wurde bisher immer von einem Amerikaner geleitet, erst im April wählte man David Malpass zum Präsidente­n). Mit dem Aufstieg der früheren Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder wurde schon vor Jahren der Ruf lauter, der Westen möge sich den neuen globalen Gegebenhei­ten fügen und auf diese beiden wichtigen Führungsäm­ter verzichten.

Seitens der Europäer ist jedoch gerade im Licht des Machtgewin­ns vor allem Asiens keine Bereitscha­ft zu erwarten, den Währungsfo­nds von jemand anderem führen zu lassen. Zudem hat die Eurokrise verdeutlic­ht, wie entscheide­nd die Herkunft des IWF-Chefs ist: Ohne die (von außen oftmals kritisiert­en) Entscheidu­ngen des Franzosen Dominique Strauss-Kahn in den Jahren 2007 bis 2011 wäre der Fonds vermutlich nicht in die teuren Rettungspr­ogramme für Griechenla­nd und andere Euroländer eingestieg­en.

 ?? [ AFP ] ??
[ AFP ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria