Herzschlagfinale um IWF-Chefposten
Globalisierung. Die Kampfabstimmung der EU-Finanzminister über die Nachfolge von Christine Lagarde im Währungsfonds entglitt in ein zähes Ringen der linken und rechten Parteiblöcke.
Jene Stimmen, die die EURegierungen davor gewarnt hatten, über die Nominierung des Nachfolgers von Christine Lagarde an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Abstimmung durchzuführen, statt sie wie gewohnt diskret zu vereinbaren, wurden am Freitag bestätigt. Statt sich hinter den Kulissen auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen, der den kraft der ungeschriebenen Gesetze des BrettonWoods-Systems Europa zufallenden Posten des geschäftsführenden Direktors des Währungsfonds erhält, entschieden sich die 28 Finanzminister unter Anleitung des Franzosen Bruno Le Maire dazu, mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen. Doch sollten sie erhofft haben, damit Klarheit in den Entscheidungsprozess zu bringen, haben sie sich gewaltig geirrt. Was am Freitagvormittag begann, entglitt im Lauf des Tages in ein parteipolitisches Gezerre, dessen Ausgang bei Redaktionsschluss der „Presse“noch nicht abzusehen war.
Zwei Kandidaten gingen am späten Nachmittag in die entscheidende Abstimmungsrunde. Einerseits der frühere niederländische Finanzminister und einstmalige Vorsitzende der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, andererseits die ehemalige bulgarische EUKommissarin und Vizepräsidentin der Weltbank, Kristalina Georgiewa. Sie hatten jeweils ein politisches Lager von Mitgliedstaaten hinter sich: Georgiewa wurde unter Anführung von Frankreichs liberalem Staatspräsidenten, Emmanuel Macron, von Italien und den osteuropäischen Staaten unterstützt. Dijsselbloem wiederum hatte die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, die Niederlande sowie die sozialdemokratisch regierten Staaten hinter sich.
Diese Aufstellung war politisch höchst delikat: Dijsselbloem hatte die Unterstützung des liberalen niederländischen Ministerpräsidenten, Mark Rutte, der sonst auf europäischer Ebene aber mit Macron gemeinsame Sache macht. Georgiewa wiederum gehört, auch wenn sie sich parteipolitisch nie besonders in die Auslage gestellt hat, zur Europäischen Volkspartei – ebenso wie Merkel, die aber den niederländischen Sozialdemokraten Dijsselbloem favorisiert. Eine Ursache für diese bemerkenswerte Verhärtung der Fronten dürfte sein, dass bei den Sozialdemokraten das Gefühl herrscht, bei der Vergabe der Spitzenämter in den EU-Institutionen vor einem Monat nicht ausreichend gewürdigt worden zu sein. Der IWF-Chefsessel müsse deshalb mit einem von ihnen besetzt werden, lautete Beobachtern zufolge das Kalkül.
Auf dem Weg zu diesem Duell zwischen Dijsselbloem und Georgiewa blieben drei Kandidaten auf der Strecke: Sowohl die Finanzminister von Portugal und Spanien, Mario Centeno und Nadia Calvin˜o, als auch der finnische NotenbankPräsident, Olli Rehn, zogen ihre Kandidaturen zurück. „Die EU ist dabei, den europäischen Kandidaten für den geschäftsführenden Direktor des IWF zu wählen. Das ist ein außerordentlich bedeutsamer und motivierender Posten“, teilte der frühere Wirtschafts- und Währungskommissar Rehn mit. „Ich habe jedoch jetzt meinen Namen aus der Wahl genommen, damit wir einen Konsens auf breiter Basis für einen europäischen Kandidaten erreichen können, und weltweite Unterstützung.“
Seit der IWF, der „Kreditgeber in letzter Not“für insolvente Staaten, vor sieben Jahrzehnten als Pendant der Weltbank im Rahmen der Bretton-Woods-Abkommen gegründet wurde, stand seine Führung ausnahmslos den Europäern zu (die Weltbank wurde bisher immer von einem Amerikaner geleitet, erst im April wählte man David Malpass zum Präsidenten). Mit dem Aufstieg der früheren Entwicklungs- und Schwellenländer wurde schon vor Jahren der Ruf lauter, der Westen möge sich den neuen globalen Gegebenheiten fügen und auf diese beiden wichtigen Führungsämter verzichten.
Seitens der Europäer ist jedoch gerade im Licht des Machtgewinns vor allem Asiens keine Bereitschaft zu erwarten, den Währungsfonds von jemand anderem führen zu lassen. Zudem hat die Eurokrise verdeutlicht, wie entscheidend die Herkunft des IWF-Chefs ist: Ohne die (von außen oftmals kritisierten) Entscheidungen des Franzosen Dominique Strauss-Kahn in den Jahren 2007 bis 2011 wäre der Fonds vermutlich nicht in die teuren Rettungsprogramme für Griechenland und andere Euroländer eingestiegen.