Seine erste Wahlniederlage tut Premier Boris Johnson nicht weh
Brexit. Nach der Schlappe bei der Nachwahl in Wales rücken vorzeitige Neuwahlen des britischen Unterhauses noch ein Stück näher.
Nur eine Woche nach seinem Amtsantritt hat der neue britische Premierminister, Boris Johnson, eine dreifach schmerzhafte Niederlage erlitten: Mit dem Verlust des walisischen Wahlkreises Brecon and Radnorshire an eine gemeinsame Kandidatin des Anti-Brexit-Lagers, die Liberaldemokratin Jane Dodds, haben die Gegner von Johnsons hartem No Deal gezeigt, dass mit ihnen weiter zu rechnen ist. Zum Zweiten ist damit Johnsons Mehrheit im Londoner Unterhaus auf ein Mandat geschmolzen. Schließlich wird es ein Premier wie Johnson nicht leichtnehmen, dass keiner seiner Vorgänger seit 1945 nach so kurzer Zeit bereits einen Sitz verloren hat.
Dennoch ist es eine Niederlage, die ihn nicht allzu sehr schmerzen wird. Denn obwohl die Liberaldemokraten die klaren Sieger der Nachwahl waren, fielen die Verluste der Konservativen deutlich geringer aus, als die Parteizentrale befürchtet hatte. Der bisherige Tory-Abgeordnete Chris Davies wollte sich mit der Nachwahl von Vorwürfen der Spesenschwindelei reinwaschen. Immerhin 39 Prozent der Wähler sprachen ihm das Vertrauen aus. Der konservative Parteichef, James Cleverley: „Es war ein sehr knappes Ergebnis, während alle einen klaren Sieg der Liberaldemokraten erwartet hatten.“
Dass die Liberaldemokraten der Sieger waren, steht außer Zweifel. Mit 43,5 Prozent der Stimmen wurden sie überlegen zur stärksten Kraft: „Wir sind auf dem Weg nach oben“, sagte die neue Parteichefin, Jo Swinson, die einen Tag vor Johnson von ihrer Partei an die Spitze gewählt worden war. Nachdem das Bündnis der AntiBrexit-Parteien siegreich war, meinte Neo-Abgeordnete Dodds: „Das ist nicht die Zeit für Parteienhickhack, sondern die Botschaft lautet: Wir müssen einen No-DealBrexit verhindern.“
Die Liberaldemokraten gewannen die Nachwahl aber nicht nur, weil andere Parteien zu ihren Gunsten auf ein Antreten verzichtet hatten. Der Hauptgrund war, dass die Brexit Party von Nigel Farage immer noch auf 10,5 Prozent der Stimmen kam und damit den Tories weiter Konkurrenz machte. Mit seinem Kurs auf einen harten Brexit hat Johnson die Konservativen darauf ausgerichtet, der FarageTruppe die Lebensgrundlage zu entziehen. Das hat er offenbar bisher noch nicht erreicht.
Dennoch hat er Grund zur Zuversicht: In Summe gewann das EU-Lager in Brecon and Radnorshire 48,8 Prozent, die EU-Gegner kamen auf 50,3 Prozent. Nach drei Jahren Warnungen vor dem Brexit war das Ergebnis damit verblüffend ähnlich dem Ergebnis der Volksabstimmung von 2016 mit 51,9 zu 48,1 für den Brexit.
Während das Lager der EUGegner also ziemlich konstant ist, erlitt Labour ein weiteres Debakel. Mit 5,3 Prozent fiel die führende Oppositionspartei hinter die Brexit Party auf den blamablen vierten Platz. Der EU-Zickzackkurs der Führung hat die Partei zuerst ihrer Glaubwürdigkeit und nun ihrer Wähler beraubt. Roger Cully von der Cardiff University: „Wir sehen große Unzufriedenheit mit Parteichef Jeremy Corbyn.“Wer heute gegen den EUAustritt ist, geht zu den Liberaldemokraten.
Damit wird die Versuchung für Johnson, sich diese Ausgangslage zunutze zu machen, weiter wachsen. Wenn es ihm gelingt, die Brexit Party im Keim zu ersticken und die Schwäche von Labour auszunützen, wird er das Schrumpfen der Parlamentsmehrheit auf eine Stimme als eine vorübergehende Irritation betrachten können. Stattdessen wird er in Neuwahlen versuchen, in der Zuspitzung „Wollt ihr Boris oder Corbyn in der Downing Street?“eine klare Mehrheit zu erzwingen. Wahlforscher John Curtice: „Wir sehen einen Boris-Bonus, aber wenn er jetzt in Neuwahlen geht, kann er sich nicht sicher sein zu gewinnen.“
Umso mehr ist mit einer Fortsetzung seines Konfrontationskurses zu rechnen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wann Johnson vorgezogene Neuwahlen vom Zaum bricht: Erklärt er zuerst seine Versuche, mit der EU einen neuen Deal auszuhandeln, für gescheitert? Oder zieht er zuerst den Chaos-Brexit durch und lässt sich dann vom Volk bestätigen? Johnson diese Woche in Wales: „Die Entscheidung liegt jetzt bei der EU.“Den Schwarzen Peter hat er damit schon weitergegeben. (gar)