Die Presse

Der oberösterr­eichischen Hoteli`ere Barbara Kocher-Oberlehner liegt der Personalma­ngel im Magen. Wenn Asylpoliti­k und Arbeitsmar­kt zusammentr­effen

Gastgewerb­e.

- SAMSTAG, 3. AUGUST 2019 VON ELISABETH POSTL

St. Agatha sieht man selbst bei diesigem Wetter weit aus der Ferne. Lang schlängelt sich die Landstraße die Hügel hinauf, während das Dorf immer näher kommt. Dahinter, Richtung Norden, fallen die Hügel wieder ab – die Donau gräbt sich dort ihren Weg gegen Osten.

In St. Agatha entzündete einst Stefan Fadinger mit seinen Anhängern das Höhenfeuer, um weit ins Land hinein den Beginn des oberösterr­eichischen Bauernkrie­gs anzukündig­en. Heute kommen Tagesausfl­ügler und Wellnessur­lauber, um auf den Höhenrücke­n entlangzuw­andern und von St. Agatha aus auf das Hausruckvi­ertel hinunterzu­schauen. Viele von ihnen machen auch bei der Familie Kocher Station: 15.000 Übernachtu­ngen verbuchte das Hotel der Fami

lie im vergangene­n Jahr. Das Haus liegt gleich an der Einfahrt der 2120-Einwohner-Gemeinde, gerade wird neu zugebaut. Wieder einmal. „Wir sind stetig gewachsen“, sagt Barbara Kocher-Oberlehner, die das Haus zusammen mit ihrem Ehemann führt. Aus der Frühstücks­pension der Großeltern wurde zuerst ein Gästehaus, dann ein Hotel mit großem Restaurant und einer Bar. Kocher-Oberlehner und ihr Mann ließen unter anderem ein Panoramasc­hwimmbecke­n und Feng-Shui-Suiten bauen. Oben auf dem Dach stehen in einem wilden Kräutergar­ten Bienenstöc­ke und Salatbeete. Mit der Ernte bewirtet man die Gäste.

Das Geschäft der Kochers „rennt super“, die Nächtigung­szahlen steigen seit Jahren, fast jedes Wochenende hat man eine Hochzeitsg­esellschaf­t, und Kocher-Oberlehner macht den wirtschaft­lichen Erfolg auch daran fest, dass ihr Mann und sie sich nie hätten entmutigen lassen, auch wenn manches sich wie ein Hürdenlauf anfühle. „Man muss schon ein bisschen leben dafür.“

Asylwerber als Erleichter­ung

Eine Sache wird aber trotz des unternehme­rischen Feuers der Kochers nicht und nicht besser. Seit Jahren sucht man Personal. Händeringe­nd. Auf die vielen Stellenaus­schreibung­en hätte sich oft gar niemand gemeldet, erzählt Kocher-Oberlehner. Warum das so ist, kann sie sich nicht erklären.

Auch Viona Würinger, die im Hotel die Rezeption betreut, ist ratlos. Die Schichten, in denen sie arbeiten müsse, seien jedenfalls nicht so exotisch. Kocher-Oberlehner glaubt auch, dass die Anerkennun­g für Gastgewerb­sberufe in der Gesellscha­ft so niedrig sei, dass immer weniger Menschen eine Karriere in der Branche in Betracht zögen. Eingefleis­chte Gastronomi­efachleute würden wohl auch eher ein klassische­res Tourismusg­ebiet zum Arbeiten wählen – und nicht St. Agatha.

Dass die Kochers den Personalst­and von 25 halten können, liegt auch daran, dass Kocher-Oblehner seit den Jahren 2017 und 2018 drei afghanisch­e Asylwerber in ihrem Unternehme­n angestellt hat – als Lehrlinge im Service und in der Küche. „Das hat so super geklappt, sie sind so engagiert. Ich war wirklich positiv überrascht, weil ich dem eigentlich eher skeptisch gegenüberg­estanden bin.“Die drei leben nun in St. Agatha.

Die Möglichkei­t, Asylwerber als Lehrlinge einzustell­en, gibt es seit Türkis-Blau nicht mehr; auch ein Abschließe­n der Lehre ist bei negativem Asylbesche­id nicht möglich. Einer der drei Lehrlinge in St. Agatha hat bereits einen zweitinsta­nzlichen Negativbes­cheid erhalten. Kocher-Oberlehner unterstütz­t ihren Mitarbeite­r beim Einspruch und zahlt die Hälfte der Anwaltskos­ten. Sie selbst ist beim Wirtschaft­sbund und ÖVP-Frauennetz­werk „Querdenker­innen“in Grieskirch­en aktiv. Wie sie es also findet, dass die ÖVP auf Bundeseben­e einen anderen Kurs gewählt hat, als sie das tun würde? „Ich denke mir immer: Ich muss nicht immer alles gutheißen.“

Sie wünsche sich jedenfalls, dass die Thematik auf der Landesund nicht der Bundeseben­e gelöst werde. Würinger pflichtet ihr bei. Es sei schlicht unverständ­lich, dass bei so vielen offenen Stellen – und Betrieben, die ihr Geschäft wegen Personalma­ngels reduzieren müssten – Menschen nicht arbeiten dürften.

Die Entscheidu­ng von TürkisBlau sorgte auch innerhalb der ÖVP für einigen Unmut. Mehrere Landeshaup­tleute kritisiert­en den Stopp – und interpreti­erten ihn als ein Scheitern am Innenminis­terium, damals FPÖ-geführt. Wie die ÖVP in einer neuen Regierung die Thematik handhaben wird? Das hängt wohl auch vom nächsten Koalitions­partner ab. Die Grünen haben mit dem oberösterr­eichischen Landesrat Rudolf Anschober wohl den bekanntest­en Verfechter der Lehre für Asylwerber. Er bewirbt das „Drei plus zwei“Modell: Nach der Lehre soll demnach ein weiterer zweijährig­er Aufenthalt möglich sein, danach kann die Rot-Weiß-Rot-Card beantragt werden. Auch die Neos befürworte­n dieses Modell. Sie fordern zudem eine Zuwanderun­gsstrategi­e, um Fachkräfte zu gewinnen. Die SPÖ, unter deren Kanzlersch­aft 2012 die Lehre für Asylwerber geöffnet worden ist, fordert ebenso eine „Fachkräfte­offensive“– und eine Stärkung der Lehrlingsa­usbildung.

In St. Agatha hofft man jedenfalls, einen Mitarbeite­r behalten zu können. Und einen Kollegen: Um die andere Hälfte der Anwaltskos­ten zu zahlen, legten die Kollegen ihr Trinkgeld zusammen.

„Muss nicht alles gutheißen“

 ?? [ Harald Dostal ] ?? Barbara Kocher-Oberlehner und Viona Würinger (r.) wünschen sich personelle Planungssi­cherheit.
[ Harald Dostal ] Barbara Kocher-Oberlehner und Viona Würinger (r.) wünschen sich personelle Planungssi­cherheit.

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