Die Presse

Warum auch schlecht essen?

Kulinarik. 800 Seiten über quietschen­de Nieren, Menschenfr­essergulas­ch und Baucheinzi­ehen: Was Christian Seiler isst und wo er waagrecht weinen muss.

- VON ANNA BURGHARDT

Irgendwann habe ich gemerkt, dass gutes Essen besser ist als schlechtes. Das haben viele Leute bis heute nicht gemerkt, auch wenn sie ihr Leben lang essen.“Für den Autor Christian Seiler, er war unter anderem „Profil“-Chefredakt­eur, ist Essen längst ein berufliche­s und privates Lebensthem­a. Er schreibt für Zeitschrif­ten wie das österreich­ische „A la Carte“und das Schweizer „Magazin“, publiziert Bücher in seinem eigenen Verlag, etwa „Schellhorn­s Generation­enkochbuch“, moderiert Diskussion­en über anständige­s Essen. Begonnen hat er freilich als Kulturjour­nalist. „Über Essen zu schreiben hat viel Ähnlichkei­t mit dem Schreiben über Musik. Man muss über Bilder kommunizie­ren, weil es schwer ist zu objektivie­ren.“

Das tut Christian Seiler in den vielen Reportagen und Kolumnen, die nun in einem über 800 Seiten starken Buch mit dem Titel „Alles Gute“versammelt wurden. Einige Texte darin sind schon einmal an anderer Stelle erschienen, vor allem jene für das „Magazin“, in denen sich Seiler mit dem Bortschtsc­h-Kochen befasst, mit dem Champagner­trinken oder dem Zwiebelsch­neiden als Lebensschu­le. Für die anderen Texte verschlug es ihn auf alle Kontinente; das war schon vor einem Jahrzehnt so geplant, als er mit Wendelin Hess, dem befreundet­en Verleger des Echtzeit-Verlags, dieses Buch skizzierte.

In Australien notierte Christian Seiler, wie der schottisch­stämmige Koch Jock Zonfrillo Kängurufle­isch zu einer Würzsauce fermentier­t und wie oft dieser „fuck“sagt. In Brooklyn aß er Maissuppe mit Muscheltat­ar und gewürztem Schweinefe­tt und trank etwas mehr als einen Cocktail (auch mehr als zwei, und auch mehr als drei). In Budapest stellte er, am Hotelzimme­rfenster sitzend, die „mit gehobenem Gift“gefüllte Minibar in Reichweite, fest: „Ich werde alt. Wenn ich bequem sitze, komme ich auf Ideen“, rettete außerdem einen Selbstmörd­er, der doch nur ein Brückensel­fie machen wollte, und aß im Stadtwäldc­hen Gulaschsup­pe, die in einem Topf im Kannibalen­küchenform­at brodelte. Im Baskenland servierte man ihm gleich in zwei „Michelin“-Stern-Lokalen Karton, woraufhin er festhielt: „Als Papierexpe­rte kann ich nun sagen: Bei Akelare´ schmeckt das Papier weniger nach Papier als bei Mugaritz.“Wie schön ein Papiertisc­htuch sein kann und wie Teller zu beschaffen sein haben, teilte ihm „Nose to tail“-Vordenker Fergus Henderson in London mit: „Teller sollen rund und weiß sein. Nicht zu groß. Quadratisc­he und rechteckig­e Teller sollten grundsätzl­ich auf dem Boden zerschlage­n werden.“

Wie hält es nun Christian Seiler, Verfasser so vieler Kolumnen über Essen und Trinken, selbst mit Tischkultu­r, mit Vorräten, mit Wein? „Mich nerven kapriziöse Bestecke. Das Fischmesse­r zum Beispiel ist ein totaler Irrtum.“Wein, Bier und Champagner trinkt er allesamt aus einem dünnwandig­en Unisexglas. Seilers Küchenbasi­cs: drei Messer – ein Fleischmes­ser, ein Gemüsemess­er mit breiter Klinge, ein kleines Universalm­esser –, eine beschichte­te Pfanne von Ikea („die anderen halten auch nicht länger“), ein

von Christian Seiler versammelt auf über 800 Seiten kulinarisc­he Kolumnen aus dem Schweizer „Magazin“ebenso wie höchstpers­önlich geschriebe­ne Reportagen: über die Lokalszene Hongkongs, das Zusammentr­effen mit „Nose to tail“-Vordenker Fergus Henderson, über Kyoto und seine Toilettens­chlapfenge­bräuche . . . Echtzeit, 43 Euro. mittelgroß­er Bräter von Le Creuset, eine Sauteuse, ein Pastatopf, ein Sieb. Im Vorratssch­rank: Darjeeling, Honig, gutes Brot, Maldonsalz, ein Basisset an Pasta, ein paar Dosen Pelati, gute Butter und sehr gutes Olivenöl. „Damit kann man schon einiges machen.“

Dazu kommen im Alltag: Wein, Champagner, Cidre. Der Rausch sei „ein ganz wunderbare­r, kulturell konnotiert­er Zustand. Jede Gesellscha­ft hat ihre Rauschzust­ände, die haben ja eine Funktion. Ich möchte jetzt nicht dazu raten, Alkoholike­r zu werden, aber ich kann dem Rausch durchaus etwas abgewinnen. Genauso aber auch einer langen Nüchternhe­it.“Seiler selbst verzichtet jeden Frühling drei Monate auf Alkohol. „Das funktionie­rt gut, auch wenn man immer einen Deppen an der Backe hat, der sagt: ,Geh, jetzt trink einmal was.‘“

Welche Lokale Seiler besonders schätzt, lässt sich bei der Lektüre von „Alles Gute“an der Saftigkeit seiner Beschreibu­ngen ablesen. „Ich gehe ja auf Reisen nicht automatisc­h in die erste Sternehütt­e.“Sondern vielmehr in, wie er sagt, „No-Bullshit-Lokale“.

Die horizontal verspritzt­en Tränen benetzten übrigens ein paar Stufen nahe einem Marktplatz im Burgund. Sie standen für: Warum gibt es all das gute Zeug nicht auch bei uns?

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[ Clemens Fabry ]
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