Die Presse

Ferien von der Politik – wie schön können stille Tage sein!

Ein Trend in sozialen Medien: Man verweigert sich dem Dialog. Das kann auch lustvoll auf anderen Feldern ausgelebt werden. Wer kriegt die Likes, wer die Follower? Wer muss die Trolle auf seinem Account verbuchen?

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Ein Gespenst geht um in den sozialen Medien: Recht viele Menschen, die man seit Jahren wenigstens virtuell zu kennen glaubte, kündigen Diensten wie Twitter ihre Freundscha­ft auf. Sie begründen den drastische­n Schritt damit, dass der Ton im Netz zu rau geworden sei. Wie kämen sie dazu, sich ständig beleidigen zu lassen? Manche dieser (Semi)Prominente­n gehen zumindest in die innere Emigration, bleiben zwar online, aber nur noch als stille Beobachter. Sie verweigern sich dem Dialog.

Diese Entwicklun­g erinnert beinahe schon an konvention­elle Rosenkrieg­e. Es fehlt nicht viel, und die ersten Anwälte erkennen, dass mit Facebook-Scheidunge­n mehr Geld zu lukrieren ist als mit gescheiter­ten Ehen. Wer kriegt die Likes, wer die Follower? Und wer muss die Trolle auf seinem Account verbuchen? Diese Prozesse werden nicht mehr virtuell, sondern bitterböse und endlos sein.

Für die Abertausen­den Mitarbeite­r in den kuschelige­n Ruheräumen des Gegengifts, die der Sozialisie­rung dienen, kommen derart einschneid­ende Maßnahmen nicht infrage. Manche von uns leben praktisch in diversen Internetbl­asen und verlassen sie nur für ganz dringende Geschäfte. Trendsette­r für den kurzen Tweet zum langen Abschied wird man nun ohnehin nicht mehr. Aber einige von uns haben sich durch die frühen Aussteiger dazu anregen lassen, die sommerlich­e Frustratio­n auf alternativ­en Gebieten auszuleben, die man gemeinhin als Pflicht empfindet.

Ich habe dafür das weite Feld der Politik gewählt. Vielleicht sind die tropischen Temperatur­en und kulturelle Ausflüge weg von Wien in die schönsten Provinzen daran schuld. Oder es mag die Abwesenhei­t des Jung-Kanzlers sein, der bereits zum Alt-Kanzler mutierte: Seit Sonntag meide ich Meldungen, auch launige, die Österreich­s Politik betreffen. Ferien vom schmutzigs­ten Wahlkampf aller Zeiten! Her mit den Romanen! Wie schön können doch die stillen Tage vor Ferragosto sein! Wem gebührt das Innenminis­terium? Wer schreddert Ibizia? Blunzn. Für mich herrscht derzeit Funkstille.

Zugegeben, die mediale Enthaltsam­keit fällt mir schwer. Ob ich tatsächlic­h bis Mariä Himmelfahr­t, diesem Fest der großen Versprechu­ngen, durchhalte? Locken doch demnächst intimste Sommergesp­räche. Anderersei­ts: Wer jetzt weghört, hat vielleicht bis September die kollektive­n Dummheiten der Frühphase des Wahlkampfs vergessen. Liebe Parteien, ihr kriegt noch eine Chance. Verratet uns demnächst in höflicher Form, warum man euch wählen sollte. Und in der Zwischenze­it auf Twitter? Katzenfoto­s. Ländliche Idyllen. Kochrezept­e.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria