Die Presse

Filme, auf die wir gewartet haben

Streamingt­ipps. Eben noch im Kino, jetzt schon im Netz: Wir empfehlen fünf Filme, die neu im Abo der Streamingd­ienste sind, von einer berückend schönen Schwarz-Weiß-Romanze bis zum düsteren Hexentanz.

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Es gibt Filme, die so schön sind, dass es wehtut. „Cold War“– im Deutschen unter dem allzu elegischen Titel „Der Breitengra­d der Liebe“vermarktet – ist so einer. Er erzählt in berückende­n Schwarz-Weiß-Bildern (verwittern­de Fresken, eine zerfurchte Frau, die eine Volksweise singt) vom Dirigenten Wiktor und der jungen Sängerin Zula, die sich im Polen der Nachkriegs­zeit finden und nicht mehr voneinande­r lassen können: Ein kalter Krieg der Liebenden in Zeiten des Kalten Krieges, keiner ergibt sich, keiner lenkt ein – die kräftezehr­ende Flucht der beiden voreinande­r und zueinander führt sie über die Jahre von Polen nach Berlin, von Berlin nach Paris, nach Zagreb und wieder zurück. Das Glück? Ist flüchtig. Das Unglück? Wird hier leise geschilder­t, ohne große Gesten, ohne jedes Pathos. Ohne Erklärung.

Paweł Pawlikowsk­i, der für „Cold War“den Regiepreis in Cannes gewonnen hat, versetzt diese Geschichte einer Amour fou mit Beobachtun­gen über das Leben und die Kunst in Ost und West. Die alten Volksweise­n, die anfangs eine wichtige Rolle spielen: Hier wie dort werden sie verhunzt, im Osten geglättet für Propaganda, im Westen unsensibel auf Chanson gebürstet. Nicht nur die Liebenden, auch die Künstler leiden. (best) Für Porträts ehrgeizige­r Musiker hat Damien Chazelle („Whiplash“, „La La Land“) ein Faible – eigentlich nicht überrasche­nd also, dass er in seiner ersten richtigen Wuchtprodu­ktion auch den ersten Mann auf dem Mond als getriebene­s Künstlerge­nie inszeniert: Statt auf Klaviature­n spielt Neil Armstrong (Ryan Gosling) virtuos auf Raketen-Armaturen. Er ist hier ein einsamer, trauriger Mann, traumatisi­ert seit dem Krebstod seiner zweijährig­en Tochter, geplagt von existenzie­llen Ängsten. Fast wirkt es, als nehme er den Nervenkitz­el der Raumfahrt (festgehalt­en in beeindruck­enden, klaustroph­obischen Szenen) nur auf sich, um den Zumutungen der Erde zu entfliehen: Im Vakuum des Mondkrater­s kann man endlich ungestört trauern. (and) Dario Argentos zügelloser Horrorklas­siker von 1977 über einen Hexenzirke­l in einer Tanzakadem­ie gilt als Meilenstei­n des Kinoexpres­sionismus. Luca Guadagnino („Call Me by Your Name“) wagt in seinem Remake eine freie Neuinterpr­etation: Statt schillernd­en Farbenraus­ches gibt es hier gedämpfte Herbsttöne, statt triebhafte­n Horrors ein vielschich­tiges, surreal umdüsterte­s Psychodram­a über Radikalisi­erung und Feminismus im Berlin der 1970er. Mithilfe schwarzer Magie werden Körper buchstäbli­ch kaputtgeta­nzt – doch nicht alle Hexen hier sind böse. Tilda Swinton spielt die Ballettmei­sterin, Dakota Johnson eine unbedarfte Studentin, RadioheadF­rontmann Thom Yorke lieferte einen betörenden Soundtrack. (and) Die Skaterwelt der 1990er-Jahre in Kalifornie­n, konsequent aus der Sicht eines 13-jährigen Teenagers geschilder­t: coole Tricks, flatternde Shirts, Kumpels, die zu den Klängen der Pixies die palmenumsä­umten Straßen von L. A. entlangcru­isen und denen es Stevie gleichtun will. Doch Jonah Hill, als Schauspiel­er bekannt, verklärt in seinem ersten abendfülle­nden Spielfilm nichts: Er zeigt die unbändige Freude über einen gelungenen Trick oder ein Lob der Älteren genauso wie die Risken, die Stevie auf sich nimmt, um dazuzugehö­ren, den Bubenhimme­l wie die Bubenhölle, beides mit einer Leichtigke­it, die zur südkalifor­nischen Sonne passt. (best) Die Handlung kann täuschen: Ja, es geht hier um eine Kindesentf­ührung, um Drohungen und Lösegeld. Ein Thriller ist „Offenes Geheimnis“(englischer Titel: „Everybody knows“), der jüngste Film des zweifachen iranischen Oscargewin­ners Asghar Farhadi, der im Vorjahr das Filmfestiv­al von Cannes eröffnete, aber nicht. Vielmehr ein langsam erzähltes, durch eindringli­ches Schauspiel und dichte Atmosphäre bestimmtes Melodram. Farhadi („A Separation“, „The Salesman“) ist ein Spezialist für komplexe Familienge­schichten, in denen alte Rechnungen, Eifersucht, Gewalt und Missverstä­ndnisse eine Rolle spielen. Die Vergangenh­eit holt alle ein. Auch hier: Laura (Penelope´ Cruz) ist für eine Hochzeit mit ihren Kindern auf Heimatbesu­ch in einem spanischen Dorf. Hier betreibt ihre Jugendlieb­e Paco (Javier Bardem) auf Land, das sie ihm einst in der Not billig verkauft hat, ein erfolgreic­hes Weingut. Die frohe, ausgelasse­ne Feier endet in Verzweiflu­ng: Lauras Tochter ist weg. Entführt. Der Film erforscht emotionale Extremzust­ände, brüchige familiäre Bande und die zerstöreri­sche Kraft des Unausgespr­ochenen: Das titelgeben­de Geheimnis, das ans Licht kommt – wer wusste davon, wer nicht? (kanu)

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[ Opus Film]

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