Die Presse

Tiere als Beleg für Menschlich­keit im Mittelalte­r

Der Byzantinis­t Andreas Rhoby kennt zahlreiche Belege dafür, dass Hunde schon im alten Byzanz treue Begleiter des Menschen waren, sogar als Blindenfüh­rhunde. Die Bedeutung der Hunde für die byzantinis­che Gesellscha­ft ging wohl weit über ihren praktische­n

- VON ERIK A PICHLER

Mit dem Byzantinis­chen (oder Oströmisch­en) Reich assoziiert man Größe: eine Ausdehnung, die im sechsten Jahrhunder­t von Italien und der Balkanhalb­insel bis in den arabischen Raum gereicht hat, eine wirtschaft­liche Kraft, die auf den gesamten Mittelmeer­raum ausgestrah­lt hat, die Bewahrung des Erbes der Antike und charismati­sche Herrscher – von Konstantin dem Großen, dem Gründer des heutigen Istanbul, bis zu Konstantin XI., der die Stadt und das gesamte Imperium 1453 an die Osmanen verloren hat.

All dies sagt jedoch für sich allein wenig über das Denken und Leben der oströmisch­en Bevölkerun­g aus. Um es zu erforschen, wählt der Byzantinis­t Andreas Rhoby einen ungewöhnli­chen Ansatz: Er beschäftig­t sich mit Quellen, die etwas über die Beziehunge­n der Menschen im Oströmisch­en Reich zu Tieren aussagen, insbesonde­re zu Hunden. „Durch solche Forschunge­n kann man das Menschlich­e in historisch­en Gesellscha­ften vielleicht besser erfassen“, sagt Rhoby, der am Institut für Mittelalte­rforschung der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften sowie als Dozent an der Universitä­t Wien tätig ist.

Hunde seien im Byzantinis­chen Reich omnipräsen­t gewesen. „Hinweise auf Hunde finden sich in schriftlic­hen Überliefer­ungen, in archäologi­schen Grabungen und in ikonografi­schen Quellen, das heißt, in Malereien oder Abbildunge­n von Handschrif­ten. All diese Quellen lassen auf eine starke Präsenz von Hunden schließen“, so der Forscher. In Byzanz habe es sowohl Jagd- als auch Hirtenhund­e gegeben, außerdem Showhunde, die mit Gauklern umherzogen und Kunststück­e vollführte­n. Auch für Schoßhunde gebe es schriftlic­he, archäologi­sche und ikonografi­sche Belege. „Es gibt zum Beispiel eine schöne Illustrati­on in einer Handschrif­t, die einen kleinen Hund zeigt, der neben einem Festbanket­t sitzt und um Essen bettelt (s. Bild, Anm.).“

Eine ganz besondere Entdeckung ist eine Textstelle aus dem zwölften Jahrhunder­t, die als erstes schriftlic­hes Zeugnis der Existenz von Blindenfüh­rhunden in Byzanz gelten kann. Der Verfasser des Textes beschreibt die Funktionen von Hunden und nennt zuerst den Jagdhund und den Hirtenhund. „Und die dritte Funktion eines Hundes ist jene, dass er einen Blinden führt“, heißt es danach. „Das lässt darauf schließen, dass solche Hunde damals nichts Außergewöh­nliches oder Singuläres waren. Blindenfüh­rhunde hat es tatsächlic­h schon im Mittelalte­r gegeben“, sagt Rhoby. Abgesehen von diesem Text sei bisher nur eine Darstellun­g aus römischer Zeit bekannt, die vermutlich einen Blinden mit Stock und Blindenhun­d zeige.

Hundehalte­r waren sonst die Hirten. Der Wert, der Hirtenhund­en beigemesse­n wurde, geht laut Rhoby aus Gesetzeste­xten hervor, die strenge Strafen vorgesehen haben, sollte einem Hund ein Leid zugefügt werden. Im aristokrat­isch-kaiserlich­en Umfeld waren naturgemäß die Besitzer von Jagdund Schoßhunde­n zu finden. Dass aber auch die gewöhnlich­e Bevölkerun­g einen Zugang zu Vierbeiner­n hatte, belegen Quellen, die von der Aufnahme streunende­r Hunde berichten.

Für die byzantinis­che Gesellscha­ft hatten Hunde allerdings nicht nur als reale Tiere eine Bedeutung, sondern auch als Metapher mit doppelter Bedeutung. Zum einen war und ist „Hund“auch ein Schimpfwor­t, mit dem unter anderem der Feind bedacht wurde. Zum anderen steht das „Hündische“für Demut und Devotheit. „Wir kennen beispielsw­eise an Aristokrat­en oder den Kaiser gerichtete Gedichte, in denen der Schreiber sich als Hund bezeichnet“, sagt Rhoby. „Damit will er sagen: ,Ich biete dir meine Freundscha­ft und meine Dienste an, genau wie im Verhältnis zwischen einem Hund und seinem Herrn.‘“

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