Die Presse

Zusammenge­schustert, aber wertvoll

Die WKO will den Zugang zu Gewerbeber­echtigunge­n neu regeln. Dafür entwickeln Forscher der WU Wien ein System, in dem auch Alltagswis­sen berücksich­tigt wird.

- VON CORNELIA GROBNER

Wissen ist – wir wissen es seit Francis Bacon – Macht. Mit wie viel Wissen der Einzelne ausgestatt­et ist, ahnen allerdings die wenigsten. Erworben durch Hobbys, Ehrenamt oder Familienar­beit schlummert es überstrahl­t von Schulabsch­lüssen, Meisterprü­fungen oder Universitä­tsdiplomen in unserem Unbewusste­n. Implizites Wissen, nennt das der Betriebsin­formatiker Alexander Kaiser. Geht es nach ihm, sollte es künftig gleichbere­chtigt neben formell erworbenem und mit Urkunden bezeugtem Wissen stehen – zumindest für bestimmte Berufsqual­ifikatione­n.

Kaiser ist Leiter der Forschungs­gruppe Wissensbas­iertes Management an der Wirtschaft­suniversit­ät (WU) Wien, in der zu den Faktoren Wissen und Lernen in Unternehme­n und Organisati­onen geforscht wird. Er arbeitet an Methoden, die unbewusste­s Wissen sichtbar machen. Ein vertrackte­s Vorhaben. Denn während so manches implizite Wissen durchaus gut genutzt werden kann, auch ohne dass wir es uns bewusst machen – ein Beispiel dafür ist Schwimmen –, wäre es für berufli

che Berechtigu­ngsprüfung­en hilfreich, unsichtbar­e Kompetenze­n offen auf den Tisch legen zu können. Es handelt sich dabei nicht ausschließ­lich um eine theoretisc­he Übung. Kaiser und seine Gruppe forschen im Auftrag der Wirtschaft­skammer Österreich (WKO) daran, den Zugang zu Gewerbeber­echtigunge­n neu aufzustell­en. Derzeit ist dieser wenig transparen­t geregelt. Das gilt zwar nicht für die Meisterprü­fung, individuel­le Befähigung­snachweise werden bei der Bewerbung um ein Gewerbe jedoch mitunter recht subjektiv beurteilt.

Ein von Kaiser gemeinsam mit Andreas Schnider, dem Vorsitzend­en des Qualitätss­icherungsr­at für PädagogInn­enbildung, entwickelt­es digitales Bewertungs­system, das sogenannte Netz der Kompetenze­n, soll diesen Vorgang auf eine transparen­te und objektivie­rte Basis heben. „Wer ein Gewerbe eröffnet, braucht natürlich Fachkompet­enzen. Diese machen allerdings nur etwa ein Drittel jener Kompetenze­n aus, die man benötigt, um ein Unternehme­n zu führen. Diese wiederum haben viel mit implizitem Wissen zu tun, und wir wollen sie nutzbar machen“, sagt Kaiser.

Jedes Gewerbe besteht aus einem Netz an branchensp­ezifischen Kompetenze­n. Für die WKO-Studie wurden diese in einem ersten Schritt für fünf Berufe – Spengler, Fleischer, Friseur, Kfz-Techniker und (Orthopädie-)Schuhmache­r – definiert. Ziel war es dabei, die verborgene­n Kompetenze­n von potenziell­en Berufsanwä­rtern auch messbar zu machen. „Dann werden alle Kompetenze­n bewertet und dargestell­t, um zu sehen, wie gut sie zu den Anforderun­gen eines Gewerbes passen“, so Kaiser.

Ihn interessie­rt neben der organisati­onsspezifi­schen auch die individuel­le Perspektiv­e. „Wissen gibt uns die Möglichkei­t zu handeln. Und je mehr Handlungso­ptionen man hat, desto besser lässt sich der Lebensweg beschreite­n.“Von dem neuen System, in dem Selbst- und Fremdevalu­ierung kombiniert werden, würden etwa Migranten mit Berufserfa­hrung im Ausland oder Eltern mit wenig Berufserfa­hrung profitiere­n. „Mittelfris­tig geht es auch darum, das Weiterbild­ungsangebo­t genauer definieren zu können.“Mit dem System seien bildungspo­litische Nachbesser­ungen akkurat möglich.

Der Prototyp ist bereits programmie­rt und wird derzeit mit Daten aus den einzelnen Gewerben bespielt. Die nächste Herausford­erung ist, die Forschungs­ergebnisse in einen Gesetzesen­twurf zu gießen. Kaiser hofft, dass das Netz der Kompetenze­n bis 2021 seinen Weg in die Praxis gefunden hat – einen genauen Zeitplan gibt es aufgrund der politische­n Situation allerdings bislang keinen. Die tatsächlic­he Etablierun­g des Systems wäre für jedes Gewerbe eine gute Gelegenhei­t, sein Berufsidea­l neu zu modelliere­n bzw. zu aktualisie­ren, betont Kaiser. „Wenn man Dingen eine Aufmerksam­keit gibt, die man vorher vielleicht noch gar nicht wahrgenomm­en hat, dann können neue Dinge, auch neue Berufe entstehen.“

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