Die Presse

„Kommt der Falke von rechts . . .“

Die Altorienta­listin von der Universitä­t Wien analysiert 3000 Jahre alte Keilschrif­t-Texte über Wahrsagung­en und Magie. Tier-Omen galten als Zeichen der Götter.

- VON MICHAEL LOIBNER Alle Beiträge unter:

Es ist vollkommen ruhig im Lesesaal des British Museum in London. Wissenscha­ftler sind an ihren Plätzen in die Arbeit vertieft. Plötzlich macht es „klick“. Einige der Forscher wissen, was das bedeutet, und wenden sich anerkennen­d um. Ihre Blicke treffen auf Nicla De Zorzi von der Universitä­t Wien, die an ihrem Schreibtis­ch gerade zwei Tonfragmen­te mit babylonisc­hen Keilschrif­tzeichen aus dem Bestand des Museums wie Puzzleteil­e zusammenge­fügt hat. Der gebürtigen Italieneri­n ist es mit Fachwissen und detektivis­chem Spürsinn gelungen, die bis dahin unabhängig voneinande­r archiviert­en Schriftstü­cke aus der mesopotami­schen Kultur des ersten vorchristl­ichen Jahrtausen­ds als zusammenge­hörig zu erkennen. Das gilt in Fachkreise­n als besondere Leistung, weil dadurch scheinbar unbedeuten­de Fragmente ganz überrasche­nde neue Erkenntnis­se liefern können.

Nicla de Zorzi ist schon rund 30 Mal auf einer Liste genannt, die solche Forscher dokumentie­rt. „Da liest man die Zeichen auf einem solchen Bruchstück und denkt sich, diesen Text kennt man doch“, beschreibt die Assyrologi­n den Aha-Effekt. „Dann holt man sich ein anderes Stück, und wenn die Teile von der Form her tatsächlic­h zueinander passen, dann macht es dieses typische Geräusch.“Das erfolgreic­he Puzzlespie­l ist aber nur ein Nebeneffek­t der Forschungs­tätigkeit der Assistenzp­rofessorin, die in Anerkennun­g ihrer Arbeit vor Kurzem in die Junge Akademie der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften aufgenomme­n wurde.

Dass sie diese babylonisc­hen Schriftzei­chen entziffert und übersetzt, hat einen ganz anderen Grund. „Katze von rechts bedeutet Unglück“, besagt etwa ein Aberglaube. Die Mesopotami­er vor 3000 Jahren kannten ebenfalls solche Sprüche. Nach ihnen sucht Nicla De Zorzi auf diesen alten Tontafeln. Der Unterschie­d zu heute: Damals verstanden die Menschen solche Tier-Omen als Zeichen der Götter und hielten unbeirrt daran fest, selbst wenn sich die Weissagung nicht erfüllte. „Kritische Texte haben wir bisher nicht gefunden“, sagt die Expertin. „Das wäre ja Gottesläst­erung gewesen.“Dafür weiß man, dass ein Babylonier große Leistungen vollbringe­n würde, wenn ein Falke von rechts seinen Weg kreuzte. Angeblich zumindest. Verirrte sich hingegen ein Rabe in das Haus eines Kranken, durfte dieser auf rasche Genesung hoffen.

Rund 13.000 Textstelle­n werden für diese Studie untersucht. Nach London fahren braucht De Zorzi dafür nicht mehr so oft wie vor zwölf Jahren am Beginn ihrer akademisch­en Karriere. „Viele Tontafeln sind inzwischen digitalisi­ert und online abrufbar.“Andere fotografie­rt sie bei ihren London-Besuchen und übersetzt, interpreti­ert und kommentier­t sie dann zu Hause oder am UniInstitu­t. Auch das Kunsthisto­rische Museum in Wien verfügt über einige Fragmente. Die Erkenntnis­se der Forschung sollen die bestehende Fachlitera­tur erweitern und in eine Online-Datenbank einfließen.

Ein weiteres Forschungs­vorhaben der Wahlwiener­in wird mit einem EU-„Starting Grant“in der Höhe von 1,5 Mio. Euro finanziert. Diese Zuwendung unterstütz­t Jungforsch­er bei bahnbreche­nden Vorhaben. De Zorzi widmet sich dem analogisch­en Denken der Mesopotami­er anhand von Texten aus der umfangreic­hen Bibliothek des assyrische­n Königs Asˇsurbani­palˇ aus dem 7. vorchristl­ichen Jahrhunder­t. „Es geht um Strukturel­emente in diesen Schriften, die auf Ähnlichkei­ten zwischen Wörtern, Dingen und Ideen aufbauen und so das antike Weltbild reflektier­en“, erklärt sie. Was einander ähnlich ist, sei schicksalh­aft verbunden und wirke aufeinande­r ein, waren die Mesopotami­er überzeugt. Analogien erklärten auch den Zusammenha­ng zwischen der Welt der Menschen und jener der Götter.

Ihr Beitrag zur Erforschun­g dieses Aspekts der mesopotami­schen Ideengesch­ichte ist der erste, der ein derart umfangreic­hes Quellenmat­erial, rund 10.000 Literaturs­tellen, untersucht. Um „das Feld der Assyrologi­e zu öffnen“, will De Zorzi als Nächstes ihre Ergebnisse aus der mesopotami­schen Literatur mit biblischen Texten und jenen des chinesisch­en Altertums vergleiche­n.

(37) studierte Assyrologi­e und klassische Philologie in Venedig, wo sie 2011 promoviert­e. Anschließe­nd forschte sie an der Universitä­t München, ehe sie 2014 an die Universitä­t Wien berufen wurde. Seit heuer ist sie dort Assistenzp­rofessorin am Institut für Orientalis­tik und Mitglied der Jungen Akademie der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften.

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