Protest, Sturm und Hagel
KQnapp 42 der eine, der andere fast 45, beide am Zenit ihres Schaffens: Der Jüngere hatte sich gerade vor Gericht verantworten müssen, da ihm hinsichtlich seines Meisterwerks vorgeworfen worden war, gegen die öffentliche Moral verstoßen zu haben. Der Ältere hielt dasselbe allerdings für das bemerkenswerteste Werk der neuen französischen Schule – und hatte gerade wegen eines Nachrufs auf Gogol Gefängnis und Verbannung auf sein Gut hinter sich gebracht. Dazu hatte es einen Proteststurm von Russlands linksliberaler Öffentlichkeit gehagelt, die sich nach der Publikation seines dritten Romans in der Zeitschrift „Russkij vestnik“von ihm abwandte und ihn als „Verräter der heiligen Ideale“bezeichnete. So hatte er Russland den Rücken gekehrt und lebte nun zumeist in Paris.
Einen Tag nach dem Treffen begann „der große Moskowiter“den Briefwechsel, der über 17 Jahre anhalten sollte – bis zum Tod des „Einsiedlers von Croisset“. Der Beginn klang förmlich, respektvoll und verriet nichts von der tiefen Zuneigung, die die beiden Männer füreinander empfanden. Der Jüngere schrieb: So wie er bei der Lektüre des „Don Quichotte“Lust bekommen hatte, eine staubige Straße entlangzureiten und im Schatten eines Felsens Oliven und rohe Zwiebeln zu essen, so bekäme er bei den Büchern seines neuen Freundes Sehnsucht nach der verschneiten russischen Steppe.
Fünf Jahre später meinte der Ältere, es gäbe nur wenige Menschen, in deren Gesellschaft „ich mich so wohl und entspannt fühle und gleichzeitig doch so angeregt – ich könnte wochenlang mit Ihnen plaudern“. Persönliche Besuche waren indes sehr rar.
Für die beiden Junggesellen auf Lebenszeit war die Literatur sakrosankt – Poesie und Stil markierten ewige Werte. Mit ihrem Verständnis des Künstlertums fühlten sie sich zunehmend „überflüssig in einer Gesellschaft, in der die Plebs die Oberhand hat“, wie der Franzose abschätzig schrieb. Sie wollten jedoch nicht verschwinden, ohne ihrem Unmut Luft zu machen. Der Franzose wollte die letzten Reserven menschlicher Dummheit ausschöpfen – während der Arbeit an dem Roman, in dem das alles hätte festgehalten werden sollen, starb er aber.
Wer traf wen? Für welchen Roman musste der Jüngere vor Gericht? Der dritte Roman des Älteren? Der Fragment gebliebene Roman des Jüngeren?