Die Presse

Sommer der Waffengewa­lt

29 Tote innerhalb von nur 24 Stunden: Nach den Massakern in Texas und Ohio am Wochenende werden wieder Rufe nach strengeren Waffengese­tzen laut. Wohl vergeblich.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Dayton/El Paso. Eigentlich hätte dieser August ganz im Zeichen von „Make Love, not War“stehen sollen: Vor genau 50 Jahren zelebriert­en beim Musikfesti­val in Woodstock 400.000 Hippies den „Sommer der Liebe“– nach dem soeben begangenen 50-Jahr-Jubiläum der ersten Mondlandun­g der zweite Balsam auf die durch politische, wirtschaft­liche und soziale Turbulenze­n verunsiche­rte kollektive Seele der USA. Doch das Gedenken an Freiheit und Flower Power wird von einem regelrecht­en Kugelhagel überdeckt. Bei Massakern in den US-Bundesstaa­ten Texas und Ohio starben am Samstag und Sonntag mindestens 29 Menschen innerhalb von nur 24 Stunden. Und dass in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft weitere Massenmord­e geschehen werden, scheint aufgrund der massenhaft­en Verbreitun­g von Schnellfeu­erwaffen so sicher wie das Amen im Gebet.

Das erste Massaker ereignete sich Samstagmor­gen in der Cielo Vista Mall, einem beliebten Einkaufsze­ntrum in der texanische­n Grenzstadt El Paso: Der mutmaßlich­e Todesschüt­ze, der von den Behörden als der 21-jährige Patrick Crusius identifizi­ert wurde, eröffnete mit einem Sturmgeweh­r das Feuer auf die Besucher des „Himmelsbli­cks“. Laut Zeugen feuerte der Schütze wahllos auf seine Opfer. 20 Menschen kamen ums Leben, 26 weitere wurden verletzt – einige von ihnen lebensgefä­hrlich. Nach dem Massaker ergab sich der Mann kampflos der Polizei.

Nur wenige Stunden später folgte im Nordosten der USA die nächste Bluttat: In der Nacht auf Sonntag tötete ein Schütze in der Stadt Dayton mindestens neun Menschen. Medienberi­chten zufolge fielen die Schüsse nahe einer Bar im Oregon District, dem Ausgehvier­tel im Zentrum der Stadt. Mindestens 16 weitere Personen wurden durch die Schüsse verletzt, bis es den Sicherheit­skräften gelang, den Angreifer zu töten.

Hass auf Hispanics

Was trieb die Massenmörd­er an? Zu den Beweggründ­en des mutmaßlich­en Täters von El Paso gibt es nach Behördenan­gaben erste Indizien. So soll der Mann vor der Bluttat ein selbst verfasstes Manifest im Internet publiziert haben, das darauf schließen lässt, dass es sich bei dem Massaker um ein rassistisc­h motivierte­s Verbrechen handelt. Darin ist von einer „hispanisch­en Invasion“in den USA die Rede, ebenso wie von dem rechtsextr­emen Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländ­ischen Christchur­ch im März, bei dem 51 Betende getötet worden sind. Vor diesem Hintergrun­d erscheint der Tatort bewusst gewählt, denn die mexikanisc­hstämmigen Hispanics stellen knapp drei Viertel der Bevölkerun­g von El Paso. Über die Motive des Todesschüt­zen von Dayton war zunächst nichts bekannt.

Die offizielle­n Reaktionen fielen erwartungs­gemäß einhellig aus. US-Präsident Donald Trump schrieb am Samstag im Kurznachri­chtendiens­t Twitter, der Angriff in El Paso sei „nicht nur tragisch, es war ein Akt der Feigheit“. Der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, sprach von einem der „tödlichste­n Tage in der Geschichte von Texas“und von einem „hasserfüll­ten und sinnlosen Gewaltakt“. Auch alle demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten – von Beto O’Rourke über Kamala Harris bis zu Joe Biden – verurteilt­en das Verbrechen und versprache­n die Eindämmung der Waffengewa­lt.

Dass den Beileidsbe­kundungen mittlerwei­le etwas Schematisc­hes anhaftet, hat mit der Häufigkeit der Gewaltdeli­kte zu tun. Seit Jahresbegi­nn wurden in den USA bereits 32 Schießerei­en mit mindestens drei Todesopfer­n verzeichne­t. Erst am 28. Juli erschoss ein 19-jähriger Mann drei Besucher (darunter ein sechsjähri­ges Kind) des Knoblauch-Festivals in der kalifornis­chen Ortschaft Gilroy.

Dass das Zählen der Toten kein baldiges Ende haben wird, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich in den USA geschätzte 390 Millionen Schusswaff­en im Privatbesi­tz befinden – das entspricht 120 Stück pro 100 Einwohner. Und daran dürfte sich so bald nichts ändern, denn die National Rifle Associatio­n, der Verband der US-Waffenlieb­haber, hat nach Berechnung­en des Center for Responsive Politics allein in den vergangene­n zwei Jahren gut elf Mio. Dollar für Lobbying und direkte Unterstütz­ung (vor allem republikan­ischer) Politiker ausgegeben.

Der heurige Sommer der Waffengewa­lt überschatt­et nicht nur Woodstock – er hat auch eine unfreiwill­ige Ähnlichkei­t mit dem Sommer der Liebe. Denn während vor 50 Jahren die Vorbereitu­ngen für das Festival auf Hochtouren liefen, verübte die „Family“des Sektenführ­ers Charles Manson ein Blutbad in Kalifornie­n. Mit der Ermordung der schwangere­n Schauspiel­erin Sharon Tate am 9. August 1969 war die Ära der Hippies definitiv zu Ende – noch bevor Jimi Hendrix in Woodstock die Bühne betrat, um den „StarSpangl­ed Banner“, die Hymne der USA, mit seiner Stromgitar­re zu sezieren.

 ?? [ AFP ] ?? Gedenken an die Toten von El Paso. Knapp drei Viertel der Bewohner der texanische­n Grenzstadt sind mexikanisc­hstämmige Hispanics.
[ AFP ] Gedenken an die Toten von El Paso. Knapp drei Viertel der Bewohner der texanische­n Grenzstadt sind mexikanisc­hstämmige Hispanics.

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