Die Presse

Zwei Tenniswelt­en des Kitz-Siegers

Tennis. Kontrastpr­ogramm für Dominic Thiem: Vom beschaulic­hen Kitzbühel geht es zur US Open Series. Über gestiegene Ansprüche und warum es zu Hause so schwierig ist, ganz oben zu stehen.

- VON JOSEF EBNER

Mit der 25 Kilogramm schweren Goldenen Gams an seiner Seite dachte Kitzbühel-Champion Dominic Thiem sogleich an die kommenden Aufgaben. Der Blick in die unmittelba­re Zukunft ist es auch, der den lang ersehnten ersten Heimsieg, so eindrucksv­oll, souverän und umjubelt er auch gewesen ist, ein wenig relativier­t. Denn gleich am Mittwoch wartet beim Masters-1000-Turnier in Montreal ein Auftaktgeg­ner, dessen Weltrangli­stenplatzi­erung um einiges besser ist als von allen Kontrahent­en, die Thiem auf dem Weg zu seinem Kitzbühel-Sieg aus dem Weg räumen musste.

Der Weltrangli­stenvierte trifft entweder auf den kanadische­n Jungstar Denis Shapovalov (ATP 31) oder den mit einer 2:0-Siegbilanz gegen Thiem ausgestatt­eten Franzosen Pierre-Hugues Herbert (ATP 38). Thiems Kommentar: „Richtig stark.“Dafür gibt es in Montreal allein für den Einzug ins Viertelfin­ale 180 Punkte, und damit beinahe so viele wie für den Heimsieg in Kitzbühel (250).

Doch die Umstellung innerhalb weniger Tage ist beachtlich: Vom Heimturnie­r, bei dem Thiem die familiäre Atmosphäre, die umliegende Natur schätzt und er sich abseits von Terminen, Training und Matches im Stanglwirt entspannen konnte, geht es in die nordamerik­anische Großstadt. Trotz Jetlags wartet der Rummel eines 1000erEven­ts und darüber hinaus ein Turnier, bei dem der Niederöste­rreicher noch keine Partie gewonnen hat. Vor allem aber sind die Sandplätze für heuer Geschichte, ab sofort wird nur noch auf Hardcourts gespielt.

„Jetzt ist es vorbei damit, so weit von hinten zu retournier­en. Ich muss wieder näher zur Linie und mehr nachgehen“, erklärte Thiem. Aber: „Es war jetzt eine lange Zeit auf Sand, ich bin auch froh, dass es jetzt einmal vorbei ist.“Der ständige Wechsel zwischen Kontinente­n, Zeitzonen und Belägen gehört beim Tennisprof­i ohnehin zum Alltag, und Kitzbühel ist nur eine vermeintli­che Wohlfühloa­se für das Thiem-Lager. Die Erwartunge­n sind riesig, der 25-Jährige trägt die gesamte Veranstalt­ung – die Anlage drohte beim diesjährig­en Zuschauerr­ekord (51.500) aus allen Nähten zu platzen – und ist mit Heimvortei­l zum Siegen verdammt. „Der Druck, die Anspannung, vier ausverkauf­te Partien – es ist sicher mein emotionals­ter und auch mein schönster Turniersie­g“, meinte Thiem deshalb. Wie schwer es ist, gerade zu Hause zu triumphier­en, weiß Thiem-Coach Nicola´s Massu´. „Ich habe in meiner Heimatstad­t in Vina del Mar zwei Finali gespielt und beide verloren. Ich war auch der Favorit. Du willst es so sehr gewinnen, und dann ist es gar nicht so einfach“, erzählte der Chilene.

Auch Thiem sah weniger in seiner mentalen Verfassung den Schlüssel zum Kitzbühel-Sieg. „Ich denke nicht, dass ich mein absolut bestes Tennis gespielt habe. Ich war aber voll fokussiert, vom Anfang bis zum Ende. Ich war dieses Jahr wirklich bereit.“Coach Massu´ meinte: „Nun ist es erstmals geschafft, Dominic wird in der Zukunft relaxter sein.“

Massu´ hofft, dass sein Schützling sein Level halten kann. „Jetzt kommen zwei Masters-1000er (Montreal, Cincinnati, Anm.), dann der Slam (US Open, Anm.), natürlich ist es ein Ziel, dass er sich zum vierten Mal in Folge für das Masters qualifizie­rt.“Thiem ist in Montreal die Nummer zwei, weil Novak Djokovic´ und Roger Federer pausieren, und wähnt sich voller Selbstvert­rauen. „Das ist das Interessan­te im Tennis: Man ist nie mit etwas zufrieden. Die Ansprüche werden nicht geringer werden.“

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