Rechte von Betroffenen werden vor Gericht ignoriert
Justiz. Die Situation ist alarmierend: Nicht nur die untere Instanz, auch der Verfassungsgerichtshof nimmt Parteienrechte zu wenig wahr.
Justizminister Clemens Jabloner hat zuletzt mit drastischen Worten auf strukturelle Probleme in der Justiz hingewiesen und vor schwerwiegenden Folgen gewarnt. Die unterbudgetierte Justiz sterbe einen stillen Tod, ihre Leistungen fallen erst auf, wenn sie nicht mehr funktionieren, erklärte der als vorsichtig formulierend bekannte Justizminister gegenüber Medien.
Rechtsanwälte gelten als Organe der Rechtspflege, sind also auch berufen, die Anwendung der Rechtsvorschriften durch Behörden und Gerichte zu beobachten, Missstände und Mängel aufzuzeigen und Verbesserungsvorschläge zu erstatten. Im Wesentlichen wird diese Aufgabe durch den jährlichen Tätigkeitsbericht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK) erfüllt, in dem neben Problemen der Rechtspflege auch die eigenen Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen zusammengefasst werden.
Die Tätigkeiten des ÖRAK schließen Äußerungen von Rechtsanwälten zu Einzelfällen, die sie aufgrund ihrer Beteiligung als Parteienvertreter genau kennen und in denen die strukturellen Mängel besonders deutlich sichtbar werden, nicht aus. Der geäußerten Kritik wird häufig mit dem Hinweis auf die parteiische Sichtweise geantwortet und dadurch einer sachlichen Diskussion ausgewichen.
Entscheidung am selben Tag
Mängel können aber auch in erfolgreich geführten Verfahren sichtbar werden, wie an folgendem Beispiel gezeigt wird. Der Autor dieses Beitrags war Vertreter in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, in dem der im April dieses Jahres eingebrachten Beschwerde am 26. Juni die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Gleichzeitig wurde das Vorverfahren eingeleitet und das Verwaltungsgericht und die belangte Behörde aufgefordert, die Akten vorzulegen und Gegenschriften zu erstatten. Soweit ein normaler Vorgang, lediglich die Frist von zwei Wochen erschien ungewöhnlich, sieht doch § 83 des Verfassungsgerichtshofgesetz (VfGG) eine mindestens dreiwöchige Frist vor.
Die Erklärung dafür kam aber bereits am 19. Juli mit der Zustellung der stattgebenden Entscheidung vom 26. Juni (E 1592/2019-6). Der Verfassungsgerichtshof hatte also an dem Tag, an dem das Vorverfahren eingeleitet wurde, auch schon die abschließende Entscheidung erlassen.
Bei den Verwaltungsgerichten ist das Ignorieren von Parteienrechten und das nur scheinbare Einhalten von Verfahrensvorschriften längst nicht mehr die seltene Ausnahme. Insbesondere Parteien ohne österreichische Staatsbürgerschaft sehen sich immer häufiger reiner Willkür ausgesetzt.
Richterausbildung fehlt
Die (im Gegensatz zur Zivil- und Strafjustiz) in der Verwaltungsgerichtsbarkeit fehlende Richterausbildung macht sich schmerzhaft bemerkbar. Dass auch die Höchstgerichte Parteienrechte – in dem dargestellten Fall die des Verwaltungsgerichtes und der belangten Behörde – nicht ausreichend wahren, ist mehr als alarmierend.
Dem rein sachlichen Befund des Justizministers über den stillen Tod der Justiz ist wieder einmal die Frage nach der nicht unbeträchtlichen Bereitschaft der Verwaltungsgerichtsbarkeit, diesen Sterbevorgang aktiv zu begleiten, anzufügen. Die Schwächung des Rechtsstaates führt nämlich letztlich zu seiner Aushöhlung. Und sie führt zur Einführung eines Systems struktureller Ungerechtigkeit zum Vorteil derjenigen, die in der Lage sind, nach ihren eigenen Regeln zu leben.