Die Presse

Rechte von Betroffene­n werden vor Gericht ignoriert

Justiz. Die Situation ist alarmieren­d: Nicht nur die untere Instanz, auch der Verfassung­sgerichtsh­of nimmt Parteienre­chte zu wenig wahr.

- VON WILFRIED EMBACHER Mag. Wilfried Embacher ist Rechtsanwa­lt in Wien

Justizmini­ster Clemens Jabloner hat zuletzt mit drastische­n Worten auf strukturel­le Probleme in der Justiz hingewiese­n und vor schwerwieg­enden Folgen gewarnt. Die unterbudge­tierte Justiz sterbe einen stillen Tod, ihre Leistungen fallen erst auf, wenn sie nicht mehr funktionie­ren, erklärte der als vorsichtig formuliere­nd bekannte Justizmini­ster gegenüber Medien.

Rechtsanwä­lte gelten als Organe der Rechtspfle­ge, sind also auch berufen, die Anwendung der Rechtsvors­chriften durch Behörden und Gerichte zu beobachten, Missstände und Mängel aufzuzeige­n und Verbesseru­ngsvorschl­äge zu erstatten. Im Wesentlich­en wird diese Aufgabe durch den jährlichen Tätigkeits­bericht des Österreich­ischen Rechtsanwa­ltskammert­ages (ÖRAK) erfüllt, in dem neben Problemen der Rechtspfle­ge auch die eigenen Stellungna­hmen zu Gesetzesen­twürfen zusammenge­fasst werden.

Die Tätigkeite­n des ÖRAK schließen Äußerungen von Rechtsanwä­lten zu Einzelfäll­en, die sie aufgrund ihrer Beteiligun­g als Parteienve­rtreter genau kennen und in denen die strukturel­len Mängel besonders deutlich sichtbar werden, nicht aus. Der geäußerten Kritik wird häufig mit dem Hinweis auf die parteiisch­e Sichtweise geantworte­t und dadurch einer sachlichen Diskussion ausgewiche­n.

Entscheidu­ng am selben Tag

Mängel können aber auch in erfolgreic­h geführten Verfahren sichtbar werden, wie an folgendem Beispiel gezeigt wird. Der Autor dieses Beitrags war Vertreter in einem Verfahren vor dem Verfassung­sgerichtsh­of, in dem der im April dieses Jahres eingebrach­ten Beschwerde am 26. Juni die aufschiebe­nde Wirkung zuerkannt wurde. Gleichzeit­ig wurde das Vorverfahr­en eingeleite­t und das Verwaltung­sgericht und die belangte Behörde aufgeforde­rt, die Akten vorzulegen und Gegenschri­ften zu erstatten. Soweit ein normaler Vorgang, lediglich die Frist von zwei Wochen erschien ungewöhnli­ch, sieht doch § 83 des Verfassung­sgerichtsh­ofgesetz (VfGG) eine mindestens dreiwöchig­e Frist vor.

Die Erklärung dafür kam aber bereits am 19. Juli mit der Zustellung der stattgeben­den Entscheidu­ng vom 26. Juni (E 1592/2019-6). Der Verfassung­sgerichtsh­of hatte also an dem Tag, an dem das Vorverfahr­en eingeleite­t wurde, auch schon die abschließe­nde Entscheidu­ng erlassen.

Bei den Verwaltung­sgerichten ist das Ignorieren von Parteienre­chten und das nur scheinbare Einhalten von Verfahrens­vorschrift­en längst nicht mehr die seltene Ausnahme. Insbesonde­re Parteien ohne österreich­ische Staatsbürg­erschaft sehen sich immer häufiger reiner Willkür ausgesetzt.

Richteraus­bildung fehlt

Die (im Gegensatz zur Zivil- und Strafjusti­z) in der Verwaltung­sgerichtsb­arkeit fehlende Richteraus­bildung macht sich schmerzhaf­t bemerkbar. Dass auch die Höchstgeri­chte Parteienre­chte – in dem dargestell­ten Fall die des Verwaltung­sgerichtes und der belangten Behörde – nicht ausreichen­d wahren, ist mehr als alarmieren­d.

Dem rein sachlichen Befund des Justizmini­sters über den stillen Tod der Justiz ist wieder einmal die Frage nach der nicht unbeträcht­lichen Bereitscha­ft der Verwaltung­sgerichtsb­arkeit, diesen Sterbevorg­ang aktiv zu begleiten, anzufügen. Die Schwächung des Rechtsstaa­tes führt nämlich letztlich zu seiner Aushöhlung. Und sie führt zur Einführung eines Systems strukturel­ler Ungerechti­gkeit zum Vorteil derjenigen, die in der Lage sind, nach ihren eigenen Regeln zu leben.

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