Zahlt auch Großbritannien bald null Zinsen?
Anleihen. Wer dem deutschen oder dem österreichischen Staat Geld borgt, muss bereits draufzahlen. In Großbritannien erhält man jedoch noch eine positive Rendite. Das könnte sich schon bald ändern, glauben Experten.
Großbritannien könnte unter den Industrieländern die nächste Volkswirtschaft sein, in der die Renditen null erreichen, sagt ein einflussreicher Vermögensverwalter. Die Rendite auf zweijährige Gilts könnte in den kommenden Monaten „locker“verschwinden, da die Bank of England die Fremdkapitalkosten mehr als einmal senken muss, um eine an der Rezession entlangschrammende Wirtschaft zu stützen, sagen die Experten von Columbia Threadneedle Investments, die ein Vermögen von etwa 468 Milliarden Dollar verwalten.
Fallende Renditen bedeuten steigende Kurse für jene Anleger, die bereits Anleihen haben, da sie weiterhin fixe, höhere Zinsen erhalten und ihre Anleihen deshalb vor Laufzeitende teurer verkaufen können. Die Gesellschaft Columbia Threadneedle, die seit dem ersten Quartal optimistisch bezüglich Gilts ist, hat sich als eifriger Käufer gezeigt, da sie überzeugt ist, dass die britische Notenbank mit der zunehmend lockeren Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank Schritt halten muss.
Die Renditen der britischen kurzfristigen Anleihen haben sich in diesem Jahr fast halbiert angesichts der Besorgnis, dass die fast drei Billionen Dollar schwere Wirtschaft des Landes schrumpfen könnte, wenn das Vereinigte Königreich am 31. Oktober ohne Trennungsvereinbarung aus der Europäischen Union austritt.
Für zweijährige britische Anleihen erhält man derzeit 0,42 Prozent; Ende des Vorjahres waren es noch 0,75 Prozent. Der Renditerückgang ging einher mit einer Abwertung von mehr als fünf Prozent beim Pfund, der Währung mit der zweitschlechtesten Performance unter den G10-Wechselkursen.
„Die zweijährigen Renditen können locker auf null sinken, vielleicht in den nächsten sechs Monaten. Das Argument wird etwas stärker, da die EZB wahrscheinlich bis in das nächste Jahr hinein lockern wird“, sagt Edward Al-Hussainy, leitender Währungsund Zinsstratege bei Columbia Threadneedle. Die Rendite für zehnjährige britische Anleihen lag zuletzt bei 0,58 Prozent.
In der Schweiz, in Schweden, Japan und weiten Teilen des Euroraums, von Deutschland über Österreich und Frankreich bis Belgien, liegen die Renditen bereits unter null, da die Anleger sich auf eine weitere Zinssenkung der EZB zur Ankurbelung des Wachstums einstellen. Bei zweijährigen österreichischen Anleihen beträgt die negative Rendite 0,72 Prozent, so viel muss man pro Jahr noch drauflegen, wenn man dem Staat Geld borgt. In Deutschland sind es gar 0,79 Prozent. Sogar italienische zweijährige Papiere sind kürzlich in den Negativbereich gerutscht.
Wer dem Staat für zehn Jahre Geld borgt, ist kaum besser dran. In Österreich beträgt die Rendite dann minus 0,23 Prozent pro Jahr, in Deutschland minus 0,46 Prozent.
Für zehnjährige italienische Anleihen erhält man immerhin noch plus 1,57 Prozent. Dass das weniger ist als in den Vereinigten Staaten (dort bekommt man für zehnjährige Anleihen 1,87 Prozent Rendite), sehen viele angesichts der hohen Verschuldung des südeuropäischen Landes als Marktverzerrung. (Bloomberg/red.)