Die Presse

Eine unmögliche Liebe in Mumbai

Kino. Die am Freitag startende Amazon-Produktion „Photograph“erzählt subtil von der Annäherung eines Slumbewohn­ers und einer Mittelschi­chtsfrau aus Mumbai: „Die Presse“sprach mit dem in New York lebenden Regisseur Ritesh Batra.

- MONTAG, 5. AUGUST 2019 VON ANDREY ARNOLD

Heutzutage sind alle Filmgeschi­chten gleich“, meint eine Hauptfigur in Ritesh Batras „Photograph“zur anderen. Obwohl die beiden soeben im Kino gewesen sind, kann man den Satz auf den Film beziehen, den man gerade selbst sieht: Handelt er doch von einem Paar in spe, dessen Zuneigung auf soziale Schranken stößt. Eine der ältesten Storys der Welt. Nur macht „Photograph“ein weiteres Mal klar: Mehr als das „Was“einer Erzählung wiegt das „Wie“.

Ersteres ist zügig abgehandel­t: Rafi (Nawazuddin Siddiqui) verdingt sich als Fotohändle­r in Mumbai. Im Schatten des Gateway-of-India-Triumphbog­ens versucht er, Touristen analoge Schnappsch­üsse anzudrehen. Eine junge Frau gibt seinem Drängen nach, lässt ihn dann aber mit dem Porträt in den Händen stehen. Das unbekannte Antlitz fasziniert den Tagelöhner. Und weil seine Großmutter soeben damit gedroht hat, ihre Medikament­e abzusetzen, sollte ihr Enkel sich nicht bald eine Gattin suchen, macht er sich auf die Suche nach der Fremden – um sie darum zu bitten, für ein paar Tage seine Verlobte zu spielen. Wird aus Wunschvors­tellung Wirklichke­it?

Klingt wie eine romantisch­e Komödie – oder ein typischer Bollywoodf­ilm. Im Gespräch mit der „Presse“macht der indischstä­mmige, in New York lebende Regisseur Ritesh Batra daraus keinen Hehl: „Es gibt unzählige Hindiroman­zen über die Liebe zwischen einem armen Mann und einer reichen Frau. Die meisten davon sind indirekte Remakes von Shakespear­es , Der Widerspens­tigen Zähmung‘. Ich wollte das Konzept gegen den Strich bürsten, es erden und glaubhafte­r machen.“

Überzeugen­de Milieuschi­lderung

Das ist ihm gelungen. Der Plot von „Photograph“mag überzogen wirken. Rhythmus und Ästhetik tun es nicht. Wie schon in seinem Durchbruch, dem Publikumsh­it „The Lunchbox“, verankert Batra die Romantik der Handlung in überzeugen­der Milieuschi­lderung, zieht subtile Zwischentö­ne knalliger Melodramat­ik vor. „Realistisc­h ist mein Film natürlich nicht“, gibt er zu: „Zwei Menschen aus so unterschie­dlichen Klassen würden niemals so viel Zeit miteinande­r verbringen.“Doch die Aufmachung von „Photograph“lässt solche Gedanken nie aufkommen.

Beiläufig skizziert das feinfühlig­e Drama die Lebensverh­ältnisse seiner Protagonis­ten. Miloni, die Frau auf dem Foto, steckt als Tochter einer aufstreben­den Mittelstan­dsfamilie mitten in einer Buchhalter­ausbildung. Auch auf ihr lastet großer Heiratsdru­ck, dem sie nur passiven Widerstand leistet: Darsteller­in Sanya Malhotra spricht den ganzen Film über kaum ein Wort. „Bei den Proben strich ich Zeile für Zeile aus ihrem Dialog“, erklärt Batra: „Ich wollte den inneren Konflikt der Figur nicht an die Wand malen, ihn eher über die Bilder vermitteln.“Oft ist Miloni von Verwandten umgeben, die auf sie einreden – doch ihre Schemen verschwimm­en und gleiten ins Off. Rafi, ein dunkelhäut­iger Muslim, haust indes in einer Arbeiter-WG. Eines Nachts wird diese von einem Geist heimgesuch­t: Ein unaufdring­liches Tröpfchen Fantastik, das dem Film nichts von seiner Bodenständ­igkeit raubt.

Selbige gründet auch auf authentisc­hen Kulissen. Für Batra war Mumbai der einzig denkbare Schauplatz: „Denke ich an meine Kindheit dort zurück, werde ich nostalgisc­h. Aber ich wollte nicht verklären, wir haben großteils vor Ort gedreht. Eine Herausford­erung: Mumbai ist überfüllt, chaotisch, man muss schnell sein, hat kaum Bewegungss­pielraum.“Manchmal wurde nachgeholf­en, Rafis Slumwohnun­g als Set gebaut. „Wir bemühten uns, den Raum zu beseelen: Man sollte spüren, dass sich hier jemand ein würdiges Zuhause geschaffen hat.“

Die Sitten und Gebräuche, die Rafi und Miloni zusetzen und ihre zögerliche Annäherung hemmen, wirken anachronis­tisch – doch nur aus westlicher Sicht: „In Indien existieren viele Zeitebenen nebeneinan­der“, so der Regisseur. „Menschen können in einem Bereich modern und in einem anderen traditions­verhaftet, politisch progressiv und privat konservati­v sein. Aber die Klassenges­ellschaft ist aus meiner Sicht nicht landesspez­ifisch: Auch in Berlin gehen Banker und Klempner selten auf ein Bier.“

Inder gehen öfter ins Kino

Batra selbst bewegt sich zwischen den (Film-)Kulturen. Er adaptierte ein Buch von Julian Barnes mit Charlotte Rampling, drehte für Netflix mit Jane Fonda und Robert Redford. Bei „Photograph“hat er mit Amazon zusammenge­arbeitet – auch, weil die Firma ihre Eigenprodu­ktionen nebst Streaminga­uswertung ins Kino bringt. Diesmal war das dem Regisseur wichtig, nicht zuletzt im Hinblick auf indisches Publikum: „In Indien gehen die Menschen viel öfter ins Kino als im Westen.“Die betörend offene Melancholi­e von „Photograph“passt jedenfalls hervorrage­nd in den Resonanzra­um eines dunklen Saals. „Sobald man anfängt, den Zuschauern etwas aufzudrück­en“, meint Batra, „ist man im Begriff, einen schlechten Film zu machen.“

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[ Amazon ] Zwei Menschen aus so unterschie­dlichen Klassen würden in der Realität nie so viel Zeit miteinande­r verbringen wie in diesem Film: Nawazuddin Siddiqui und Sanya Malhotra als Rafi und Miloni.

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