Geschichten, die uns erst das Abendprogramm erzählt
Wenn Anna Netrebko absagt, enthüllt das einige Facetten der sogenannten Festspieldramaturgie und das Kulturverständnis unserer Politiker. Eine konzertante „Adriana Lecouvreur“ist so nachvollziehbar wie „Tatort“im Radio.
Die Erkältung war so schlimm nicht. In der dritten Aufführung von „Adriana Lecouvreur“hieß die Interpretin der Titelpartie wieder Anna Netrebko. Für Nummer zwei war Hui He eingesprungen. Das wirbelte Staub auf, symptomatisch für unseren Kunstbetrieb. Als hätte es das nie gegeben.
Die Absagen und Indispositionen der Callas füllen Bände mit Tratsch und Klatsch. Und die Netrebko gilt als die Callas unserer Tage – jedenfalls für die Societyberichterstattung in jeglichem medialen Aggregatzustand.
Nur so lässt sich ja auch begründen, dass ein Festival ein Stück von Francesco Cilea überhaupt ins Programm nimmt; noch dazu nicht einmal szenisch, was ungefähr so nachvollziehbar ist, wie wenn man eine „Tatort“-Folge im Radio sendet.
Aber für eine Netrebko schickt auch ein Festspielbesetzungsbüro kurzfristig alle Dramaturgen aus dem Zimmer. Das Publikum fand schon nach der ersten Aufführung, es verzichte gern auf sämtliche neumodischen Regiekopfstände. Eine Künstlerin dieses Formats auf dem Podium, das ist Inszenierung genug.
Wenn sie denn in Erscheinung tritt. Nun trat Anna Netrebko am zweiten Abend aber nicht in Erscheinung. Eine solche Absage birgt Erklärungsnotstand. Es wird niemand leugnen wollen, dass die konzertante Präsentation einer solchen Oper ausschließlich durch das Engagement des Stars der Stars zu rechtfertigen ist.
Es konnte an diesem zweiten Abend aber auch niemand leugnen, dass die Einspringerin eine exzellente Sängerin ist – und den anderen Sängern der Besetzung, allen voran der furiosen Gegenspielerin der Adriana Lecouvreur in Gestalt von Anita Rachvelishvili, hätte kein Intendant der Welt erklären können, warum eine Aufführung mit ihnen nicht festspieltauglich sein sollte.
Oder warum das Publikum die Sache bei aller Qualität des Gebotenen doch ein wenig anders betrachtete. Das Rechtfertigungsproblem entstand ja, genau genommen, bereits, als „Adriana Lecouvreur“, konzertant, überhaupt in den Festspielplan aufgenommen worden war.
Bezeichnend wieder einmal die Reaktion der Salzburger Politik. Der Herr Landeshauptmann gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass durch die Absage der Netrebko eine junge Sängerin eine Chance bekommen habe. Dass die Karriere der Hui He beinah genauso lang dauert wie die der großen Anna, ist ihm entgangen. Aber er glaubt ja auch, die Osterfestspiele benötigten für die Programmierung einer Oper pro Saison einen Intendanten, und ist bereit, dafür sogar einen Weltklassedirigenten zu opfern. „In solchen Händen liegt unser Schicksal“, ließ schon Richard Strauss in seiner letzten Oper seufzen . . .