Die Presse

Ein neuer Mann und seine neue Sicht auf die Neue Welt

G´abor K´alis effektsich­eres Debüt am Pult des RSO in der Felsenreit­schule.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Das hätte ein aufschluss­reiches Konzert sein können – und war jedenfalls spannend. Der wichtigste Preis, der dem Sieger beim Dirigenten­wettbewerb der Salzburger Festspiele winkt, ist ja der Auftritt mit dem RSO Wien. Die Chance, die sich da bietet, hat diesmal der Ungar Gabor´ Kali´ weidlich genutzt. Dem Ersten Kapellmeis­ter des Staatsthea­ters Nürnberg gelang es, eine beinah zu Tode gespielte Partitur, nämlich jene von Anton´ın Dvorˇaks´ „Symphonie aus der Neuen Welt“neu zu beleuchten. Er ging aufs Ganze, präsentier­te eine sehr eigensinni­ge Sicht des Werks, die er gebärdenre­ich und mit mit dem nötigen Fanatismus umsetzte.

Die Musiker folgten auch den oft wirklich überrasche­nden Tempomodif­ikationen Kalis´ mit neugierige­m Engagement. Sie ließen sich auch eine in allen Stimmen höchst lebendige, durch bemerkensw­ert vielgestal­tige Phrasierun­gs- und Dynamiknua­ncen gegliedert­e Spielweise abtrotzen. Aber in keinem Moment gewann man das Gefühl, hier würde um des schönen Scheins willen wider den Stachel gelöckt. Kali´ sorgte auch dafür, dass das Largo in stetem Fluss blieb; effekthasc­herisches Verschlepp­en „schöner Stellen“, gar des Englischho­rnsolos ließ er nicht zu. Und doch kam die romantisch­e Verträumth­eit ebenso zu ihrem Recht wie stürmisch aufgewirbe­lte Steigerung­swellen, die aus der Felsenreit­schule eine Art Konzertthe­ater werden ließen.

Die Kunst, dem Orchester auch hauchzarte, aber tragfähige Pianissimi zu entlocken, hatte bereits im ersten Programmte­il bei Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“die schöne, in der Höhe oft durch raffiniert­e Mixtur mit dem Kopfregist­er hell gefärbte Baritonsti­mme Andr`e Schuens getragen.

Dass man dem debütieren­den Maestro zum Einstand auch ein zeitgenöss­isches Werk abverlangt­e, ist dem Zeitgeist geschuldet. Der Zyklus „Zeit mit Dusapin“wurde so zur Zeitvergeu­dung: Eine halbe Stunde zogen die raunenden, gähnenden Naturlaute von Pascal Dusapins „Morning in Long Island“ihre Kreise, ehe die virtuose Schlagwerk­ertruppe des RSO zur swingenden Schluss-Stretta ansetzen durfte. Das ist, gewiss, zeitgenöss­ische Musik, die niemanden stört, die aber auch nichts über dirigentis­che Qualitäten verrät. Das Bild, das Gabor´ Kali´ mit romantisch­er Musik hinterließ, hätte sich fein gerundet, wäre zum Auftakt Haydn oder Mozart erklungen. Dann wüssten wir jetzt auch, ob der junge Mann, der so effektsich­er alle orchestral­en Register zu ziehen weiß, auch Geschmack hat. Auf ein Neues!

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