Die Presse

Johannes Hahn, der Balkan-Versteher

Eine Replik auf Stefan Broczas Gastkommen­tar: „Johannes Hahn ist die falsche Wahl“vom 29. Juli 2019.

- VON HERBERT VYTISKA Mag. Herbert Vytiska (* 1944) war langjährig­er Mitarbeite­r von Alois Mock.

Einer der Doyens der europäisch­en Politik, Tschechien­s Ex-Außenminis­ter Karel Schwarzenb­erg, hat mir vor einiger Zeit in einem Gespräch gesagt: „Durch unsere eigene Schuld haben wir in den letzten Jahren den Balkan vernachläs­sigt und viel Unheil angestifte­t.“

Genau genommen hat sich diese Vernachläs­sigung bereits zu Beginn der 1990er-Jahre gezeigt. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat man sich nur auf die Neuordnung Europas konzentrie­rt und darauf vergessen, dass mit dem Zerfall Jugoslawie­ns ein neuer Krisenherd am Kontinent entstand.

Als Johannes Hahn im November 2014 das Ressort für Nachbarsch­aftspoliti­k und Erweiterun­g übernahm, galt dieses nicht gerade als begehrensw­ert. Immerhin stand fest, dass es im Laufe der Legislatur­periode zu keiner Erweiterun­g kommen wird. Mit der Türkei gab es zudem einen Anwärter, der sich punkto Rechtsstaa­tlichkeit immer mehr von den Grundprinz­ipien der EU entfernte. Was aber innerhalb der 28 EU-Staaten keine Konsequenz­en nach sich zog, weil man aufgrund divergiere­nder Sichtweise­n zu keinem gemeinsame­n Nenner fand.

Hahn war kein lauter Polterer, aber er hat aus einem Ressort, dem man kaum einen Gestaltung­sraum zugestand, viel gemacht. Und zwar indem er gerade dem Westbalkan seine besondere Aufmerksam­keit schenkte und damit einen längst fälligen Nachholpro­zess startete.

Auch wenn diese Region in manchen Staatskanz­leien bis heute nicht die ihr gebührende Wertung findet, die Europäisch­e Union wird nicht komplett sein, solang nicht die Länder von Serbien bis Albanien ihr angehören. Und man wird ihnen dabei helfen müssen. Was den Kampf gegen die Korruption, die Unabhängig­keit der Justiz, das demokratis­che Selbstvers­tändnis betrifft, steht diesen Staaten noch ein Lernprozes­s bevor.

Auch hier gilt es Schwarzenb­erg zu zitieren. Für ihn ist ein Grund, dass die osteuropäi­schen Länder nachhinken, auch darin zu sehen, dass sie eben 1945 nicht in die Freiheit entlassen wurden, sondern noch fast 45 Jahre warten mussten, bis sie an das westliche demokratis­che System Anschluss finden konnten.

Hahn hat sein Ressort zu einer Priorität der EU-Außenpolit­ik gemacht, und wollte, dass Stabilität exportiert wird. So wurde zum ersten Mal 2018 eine langfristi­ge Westbalkan-Strategie verabschie­det, die allen sechs Staaten der Region eine realistisc­he Beitrittsp­erspektive eröffnet. Aufgrund der erzielten Reformfort­schritte konnten zwei Staaten – Nordmazedo­nien und Albanien – für die Aufnahme von Beitrittsv­erhandlung­en vorgeschla­gen werden.

Ganz entscheide­nd für die weitere Entwicklun­g dieser Region war die Überwindun­g der demokratis­chen Krise in Nordmazedo­nien und damit die Beilegung des jahrzehnte­langen Namensstre­ites mit Griechenla­nd. Hier hat der EU-Kommissar einen Meilenstei­n gesetzt. Die Causa Nordmazedo­nien ist zu einem Fallbeispi­el und einem Hoffnungst­räger für den Balkan geworden. Jetzt liegt es an den EUStaaten, diese Chance aufzugreif­en, den sechs Staaten eine klare Perspektiv­e zu geben und sie nicht bloß hinzuhalte­n.

1994, als Österreich den EUVertrag unterschri­eb, hatte der damalige Außenminis­ter Alois Mock deklamiert, dass man sich nun Osteuropa zuwenden müsste. Es dauerte 20 Jahre, bis sich die EU ernsthaft dem Balkan widmete. Hahn machte bewusst, dass die Integratio­n des Westbalkan im ureigenste­n Interesse der Union liegt. Und die neue Kommission hat die Aufgabe, das jetzt umzusetzen.

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