Die Presse

Der blinde Fleck der Brexit-Befürworte­r

Die britischen Europagegn­er wollen nicht erkennen, dass sie den Machthaber­n in Moskau und Peking in die Hände spielen.

- VON MARK DIXON

Welche Auswirkung­en hat der bevorstehe­nde EUAustritt Großbritan­niens auf das globale Gleichgewi­cht der Kräfte? Über diese Frage hat man sich in meiner Heimat viel zu wenig Gedanken gemacht. Wenn US-Präsident Donald Trump und Großbritan­niens neuer Premiermin­ister, Boris Johnson, über die wirtschaft­lichen Vorteile sprechen, die eine Loslösung Großbritan­niens von Europa und eine darauffolg­ende Annäherung an die Vereinigte­n Staaten bringen soll, dann ignorieren sie die Tatsache, dass eine geschwächt­e Europäisch­e Union vor allem Russland und China von Vorteil sein wird. Das konsequent­e Ausblenden dieser Realität ist der blinde Fleck der Befürworte­r des Brexit.

Führt der britische EU-Austritt dazu, dass die westlichen Industrien­ationen aufgrund von Zerwürfnis­sen in ihrem informelle­n „Club“weniger Handel miteinan

der treiben, bliebe für Moskau und Peking ein größeres Stück vom Kuchen übrig. Und das gilt auch für den Fall, dass die Schwäche der europäisch­en Volkswirts­chaften negative Auswirkung­en auf Wachstum und Wohlstand in China und Russland haben sollte. Denn der Brexit und seine Folgen werden – aus einer relativen Perspektiv­e betrachtet – den Abstand zwischen dem Westen und seinen beiden Rivalen verringern, auch wenn alle Seiten – absolut betrachtet – als Konsequenz der Krise ärmer sein werden.

Ein altes russisches Märchen bringt diese destruktiv­e Dynamik perfekt auf den Punkt: Ein armer Bauer, der seinen besser gestellten Nachbarn stets um dessen Kuh beneidet hat, hilft einer Fee aus der Not und erhält einen freien Wunsch. Doch anstatt sich selbst ebenfalls eine Kuh zu wünschen, bittet er die Wohltäteri­n um den Tod der Kuh des Nachbarn.

Einen ähnlich bösen Wunsch hegen auch China und Russland. Denn der Binnenmark­t der EU ist unsere gemeinsame „Cashcow“, die wir eigentlich vor Schaden schützen müssten. Denn es geht heute um nicht weniger als die Zukunft der Welt – konkret darum, welches politische System diese Zukunft gestalten wird.

Den Ausschlag geben wird dabei der relative wirtschaft­liche Erfolg. Wer im Verhältnis zu seinen Rivalen an Statur gewinnt, kann seinen Einfluss auf andere Weltregion­en ausdehnen. Chinas zunehmende Bedeutung in Afrika und in den Ländern Zentralasi­ens, die entlang der in Peking geplanten „Neuen Seidenstra­ße“liegen, sind Zeugnisse des wachsenden Gewichts der Volksrepub­lik. Relative Wettbewerb­svorteile lassen sich in Folge in relative militärisc­he Stärke ummünzen, denn sie sorgen dafür, dass man im Vergleich zu seinen geostrateg­ischen Rivalen mehr finanziell­e Mittel für die Entwicklun­g neuartiger Waffensyst­eme

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