Der blinde Fleck der Brexit-Befürworter
Die britischen Europagegner wollen nicht erkennen, dass sie den Machthabern in Moskau und Peking in die Hände spielen.
Welche Auswirkungen hat der bevorstehende EUAustritt Großbritanniens auf das globale Gleichgewicht der Kräfte? Über diese Frage hat man sich in meiner Heimat viel zu wenig Gedanken gemacht. Wenn US-Präsident Donald Trump und Großbritanniens neuer Premierminister, Boris Johnson, über die wirtschaftlichen Vorteile sprechen, die eine Loslösung Großbritanniens von Europa und eine darauffolgende Annäherung an die Vereinigten Staaten bringen soll, dann ignorieren sie die Tatsache, dass eine geschwächte Europäische Union vor allem Russland und China von Vorteil sein wird. Das konsequente Ausblenden dieser Realität ist der blinde Fleck der Befürworter des Brexit.
Führt der britische EU-Austritt dazu, dass die westlichen Industrienationen aufgrund von Zerwürfnissen in ihrem informellen „Club“weniger Handel miteinan
der treiben, bliebe für Moskau und Peking ein größeres Stück vom Kuchen übrig. Und das gilt auch für den Fall, dass die Schwäche der europäischen Volkswirtschaften negative Auswirkungen auf Wachstum und Wohlstand in China und Russland haben sollte. Denn der Brexit und seine Folgen werden – aus einer relativen Perspektive betrachtet – den Abstand zwischen dem Westen und seinen beiden Rivalen verringern, auch wenn alle Seiten – absolut betrachtet – als Konsequenz der Krise ärmer sein werden.
Ein altes russisches Märchen bringt diese destruktive Dynamik perfekt auf den Punkt: Ein armer Bauer, der seinen besser gestellten Nachbarn stets um dessen Kuh beneidet hat, hilft einer Fee aus der Not und erhält einen freien Wunsch. Doch anstatt sich selbst ebenfalls eine Kuh zu wünschen, bittet er die Wohltäterin um den Tod der Kuh des Nachbarn.
Einen ähnlich bösen Wunsch hegen auch China und Russland. Denn der Binnenmarkt der EU ist unsere gemeinsame „Cashcow“, die wir eigentlich vor Schaden schützen müssten. Denn es geht heute um nicht weniger als die Zukunft der Welt – konkret darum, welches politische System diese Zukunft gestalten wird.
Den Ausschlag geben wird dabei der relative wirtschaftliche Erfolg. Wer im Verhältnis zu seinen Rivalen an Statur gewinnt, kann seinen Einfluss auf andere Weltregionen ausdehnen. Chinas zunehmende Bedeutung in Afrika und in den Ländern Zentralasiens, die entlang der in Peking geplanten „Neuen Seidenstraße“liegen, sind Zeugnisse des wachsenden Gewichts der Volksrepublik. Relative Wettbewerbsvorteile lassen sich in Folge in relative militärische Stärke ummünzen, denn sie sorgen dafür, dass man im Vergleich zu seinen geostrategischen Rivalen mehr finanzielle Mittel für die Entwicklung neuartiger Waffensysteme