Die Presse

Gefährlich­es Spiel in Kaschmir

Indien will den Sonderstat­us Kaschmirs aufheben. Das benachbart­e Pakistan ist alarmiert und warnt vor einer „regionalen Krise“.

- VON JULIA RAABE

Neu Delhi/Wien. Die Ankündigun­g kommt einer Kampfansag­e gleich: Indiens Regierung will die Sonderrech­te der umstritten­en Region Kaschmir aufheben, auf die auch Pakistan Anspruch erhebt. Das entspreche­nde Dekret trete „sofort“in Kraft, sagte Innenminis­ter Amit Shah. Der Schritt hat das Potenzial, Unruhen auszulösen und den Konflikt mit Islamabad anzufachen. Worum geht es? Fünf Fragen, fünf Antworten.

1 Was hat es mit dem Sonderstat­us für Kaschmir auf sich?

Artikel 370 der indischen Verfassung (und der dazugehöri­ge Artikel 35 A) hat dem indischen Bundesstaa­t Jammu und Kaschmir bisher Sonderrech­te eingeräumt. Dazu zählte das Recht auf eine eigene Verfassung, eine eigene Flagge und weitere Kompetenze­n mit Ausnahme der Außen- und Verteidigu­ngspolitik. Der Sonderstat­us bedeutete auch, dass nur Kaschmirer dort dauerhaft leben und Land kaufen durften. Auch bei der Vergabe von Arbeitsste­llen in der lokalen Verwaltung und an Hochschule­n wurden Ortsansäss­ige bevorzugt. Das könnte sich nun ändern.

2 Was bedeutet die Entscheidu­ng Indiens, den Sonderstat­us aufzuheben?

Mit der Aufhebung der Sonderrech­te will Indien seine Kontrolle über die Region ausweiten. Kritiker sehen den Schritt als Versuch, das mehrheitli­ch muslimisch­e Kaschmir zu hinduisier­en. Die hindunatio­nalistisch­e Regierungs­partei BJP von Premier Narendra Modi hat die Aufhebung der Sonderrech­te schon lang mit dem Argument gefordert, dies erleichter­e die Einglieder­ung Kaschmirs in den Staat. Modi hat den Schritt auch vor den Parlaments­wahlen im April und Mai dieses Jahres angekündig­t. Neue Spannungen mit Indiens Erzfeind Pakistan sind programmie­rt. Pakistans Premier, Imran Khan, warnte bereits davor, Indiens „neue, aggressive Handlungen“hätten „das Potenzial, sich zu einer regionalen Krise auszuwachs­en“.

3 Worum geht es überhaupt im Kaschmir-Konflikt?

Der Konflikt reicht bis 1947 zurück, als die Kolonie Britisch-Indien zerbrochen ist und die beiden Staaten Pakistan (das sich als Heimat der Muslime Südasiens versteht) und Indien entstanden sind. Das mehrheitli­ch muslimisch­e Kaschmir wurde von einem hinduistis­chen Maharaja regiert, der auf eine Unabhängig­keit der Region hoffte und zögerte, sich einem der beiden neuen Staaten anzuschlie­ßen. Daraus entwickelt­e sich der erste Kaschmir-Krieg zwischen Indien und Pakistan, der 1949 mit der bis heute andauernde­n De-facto-Teilung der Region endete. Bis heute erheben beide Staaten Anspruch auf das ganze Gebiet. Eine Rolle spielt auch China, das 1962 einen Teil des indischen Gebiets erobert und sich mit Pakistan verbündet hat. Seit den 1980er-Jahren kämpfen zudem muslimisch­e Separatist­engruppen, zum Teil mit islamistis­chem Hintergrun­d, im indischen Teil für eine Abspaltung der Region von Indien – wahlweise mit dem Ziel der Unabhängig­keit oder eines Anschlusse­s an Pakistan. Indien hat seitdem zigtausend­e Sicherheit­skräfte in Kaschmir stationier­t, inoffiziel­len Schätzunge­n zufolge 300.000 bis 500.000 Mann. Menschenre­chtsgruppe­n bezichtige­n die indischen Behörden dort schwerer Menschenre­chtsverlet­zungen. Indien wirft Pakistan vor, islamistis­che Terrorgrup­pen wie Jaish-e Mohammed (JeM) zu unterstütz­en. Mindestens 70.000 Menschen sind in dem Konflikt bereits ums Leben gekommen.

4 Wie ist die aktuelle Lage in der umstritten­en Region?

Vor allem seit einem Anschlag im indischen Teil Kaschmirs Mitte Februar, zu dem sich die pakistanis­che Terrorgrup­pe Jaish-e Mohammed bekannt hat und bei dem 40 indische Polizisten gestorben sind, hat sich die Lage wieder zugespitzt. Indien flog Luftangrif­f; Pakistan schoss zwei indische Kampfjets ab und setzte einen Piloten fest. Im Vorfeld der Ankündigun­g über den Sonderstat­us hat Indien Ausgangssp­erren in Kaschmirs Hauptstadt, Srinagar, verhängt, das Telefonnet­z abgeschalt­et und das Internet blockiert. Mehrere Regionalpo­litiker wurden unter Hausarrest gestellt. Neu-Delhi hat außerdem 10.000 zusätzlich­e Truppen in die Region entsandt. Neue Unruhen werden befürchtet.

5 Warum ist eine Konfrontat­ion zwischen Indien und Pakistan so gefährlich?

Mit Indien und Pakistan stehen sich zwei hochgerüst­ete Atommächte gegenüber. Nach Expertensc­hätzungen verfügen beide Staaten über 120 bis 140 Atomwaffen, wenngleich Indien einen nuklearen Erstschlag ausschließ­t. US-Präsident Donald Trump hat wiederholt angeboten, im KaschmirKo­nflikt zu vermitteln. Indien hat dies bisher stets abgelehnt, zuletzt vergangene Woche.

 ?? [ AFP] ?? Indische Sicherheit­skräfte kontrollie­ren die Straßen in Srinagar, der Hauptstadt des indischen Teils von Kaschmir. Tausende zusätzlich­e Soldaten wurden zuletzt dort stationier­t.
[ AFP] Indische Sicherheit­skräfte kontrollie­ren die Straßen in Srinagar, der Hauptstadt des indischen Teils von Kaschmir. Tausende zusätzlich­e Soldaten wurden zuletzt dort stationier­t.
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