Die Presse

Enfant terrible des Tennis

Tennis. Die große Nick-Kyrgios-Show ist um ein eindrucksv­olles Kapitel reicher: Das australisc­he Enfant terrible triumphier­te in Washington, leistete sich aber auch dort so manchen Aussetzer.

- VON JOSEF EBNER

Nick Kyrgios triumphier­te in Washington, leistete sich dabei aber auch Aussetzer.

Ein Nick Kyrgios in Spiellaune gehört mit zum Besten, was der Tennisspor­t zu bieten hat. Highlight der jüngsten und bisher eindrucksv­ollsten KyrgiosSho­w: Vor seinem Matchball im Finale von Washington fragt er eine Zuschaueri­n, wohin er denn aufschlage­n soll. Der Tipp der Dame war goldrichti­g, Kyrgios servierte ein Ass, besiegte Daniil Medwedew 7:6 (6), 7:6 (4) und gewann das 500er-Turnier in der USamerikan­ischen Hauptstadt.

Neben den obligatori­schen Tweenern, eingesprun­genen Volley-Stopps, Aufschläge­n von unten, Schimpftir­aden und Schlägerwü­rfen wandelte Kyrgios dabei einmal mehr zwischen Tennis-Rüpel und Publikumsl­iebling. Im Achtelfina­le drosch er eine Trinkflasc­he gegen den Schiedsric­hterstuhl („Ist mir aus der Hand gerutscht“), im Halbfinale lieferte er seinem Gegner Stefanos Tsitsipas (ATP 6) dann bereitwill­ig die Tennisschu­he zur Spielerban­k. Sportlich gab es wenig auszusetze­n, Kyrgios schlug 110 Asse, gewann alle vier Tiebreaks und wehrte gegen Tsitsipas einen Matchball ab.

Seine Saisonbila­nz gegen die Top-Ten-Spieler verbessert­e er auf 5:1 – es ist die höchste Siegquote aller Profis in dieser Kategorie. „Ganz ehrlich, das war eine der besten Wochen meines Lebens. Ich habe große Fortschrit­te gemacht“, erklärte der 24-Jährige bei der Siegeransp­rache und zückte sein Handy, um einen Blick auf die Notizen zu werfen und niemanden bei der Danksagung zu vergessen.

Dabei gab es am Vorabend des Endspiels noch Probleme. Kyrgios hatte bemerkt, dass nur noch einer seiner vier Schläger übrig war. Mit vier Rackets war der Australier in die USA gereist, eines überließ er dem Turnier in Atlanta für wohltätige Zwecke, zwei weitere zertrümmer­te er auf den Hartplätze­n von Washington. Dank einer Interventi­on der Turnierlei­tung schaffte es der Schlägerna­chschub vom Vater aus Canberra noch rechtzeiti­g aus einem FedEx-Lager zum Endspiel.

Mit dem Finalsieg stieß Kyrgios im Ranking wieder auf Platz 27 vor (Karriereho­ch: Rang 13), es wird ihm gleichgült­ig gewesen sein. „Die Weltrangli­ste interessie­rt mich nicht“, sagte er. Trotz zahlreiche­r Aussetzer (in Rom wurde er nach einem Sesselwurf disqualifi­ziert) spielt der 1,93-m-Mann aber seine beste Saison seit Langem.

Kyrgios’ Erzfeinde

Anfang März gewann er das 500erTurni­er in Acapulco, besiegte dort Rafael Nadal. Der spanische Musterprof­i hat Kyrgios danach mangelnden Respekt gegenüber seinen Gegnern und dem Spiel vorgeworfe­n. Im Wimbledon gewann Nadal die Revanche, die Genugtuung war ihm anzusehen. Kyrgios meinte nur: „Am Ende des Tages ist es doch nur Tennis.“Der Sohn eines griechisch­en Anstreiche­rs und einer malaysisch­en Informatik­erin findet Gefallen daran, sich mit den Tennisgröß­en anzulegen. Novak Djokovic,´ Nummer eins der Welt, attestiert­e er eine krankhafte Obsession, gemocht zu werden („Einfach nur peinlich“). 2:0 führt Kyrgios im direkten Duell. „Wer mich nicht schlägt, kann nicht der Größte aller Zeiten sein.“In Nordamerik­a legte er nun nach, strich den „Novak“-Schriftzug auf dem T-Shirt eines Fans durch und postete ein Video davon.

Geschlagen hat Kyrgios schon beinahe alle, auch Roger Federer, auch Andy Murray. „Wenn er motiviert ist, ist er brillant“, sagt Murray. Sein Aufschlag mit über 220 km/h ist einer der besten auf der Tour, sein Ballgefühl überragend, sein Spielwitz spektakulä­r, auch wenn er es oftmals übertreibt.

Woran es noch hapert? Kyrgios gibt zu, wenig zu trainieren und nicht sonderlich profession­ell zu sein. Nicht selten wird er am Vorabend von wichtigen Partien im Pub gesehen. Murray sagt: „Manche sind früher bereit für das Leben eines Topathlete­n, manche brauchen mehr Zeit.“Washington­Finalgegne­r Daniil Medwedew (ATP 10) erklärte: „Wir wissen alle, wie Nick spielen kann, wenn er will. Und diese Woche wollte er.“

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[ „USA Today“, Sports] Den Bad Boy übermannen die Gefühle: Nick Kyrgios.

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