8chan: Wo Attentäter ihre rechtsradikalen Fantasien verbreiten
Internet. Der Schütze von El Paso ist zumindest der dritte Attentäter, der auf der Website 8chan seine Tat angekündigt und seine Ideologie beworben hat. Die Plattform führt förmlich vor, wie Hass im Netz in Offline-Gewalt gipfelt. Mittlerweile fordert auc
Ungefähr zwanzig Minuten bevor am Samstag ein 21-jähriger Texaner in einem Einkaufszentrum in der US-Grenzstadt El Paso das Feuer eröffnet und 20 Menschen getötet hatte, erschien auf der Website 8chan ein Eintrag unter dem Titel „It’s Time“, gepostet von einem anonymen Nutzer. Er werde heute vermutlich sterben, schrieb er. Seine Leser forderte er auf, den „guten Kampf“weiterzuführen und ein vier Seiten langes Dokument zu verbreiten: Darin wettert er gegen eine „hispanische Invasion“und gegen „race mixing“, erörtert geeignete Waffen und kündigt eine Tat an, die ein „Akt der Bewahrung“sein soll. Dem Christchurch-Attentäter, der ebenfalls ein „Manifest“veröffentlicht hat, bevor er 51 Menschen getötet hat, spricht er seine Unterstützung aus. Die Polizei geht davon aus, dass es sich beim Urheber des Dokuments um den tatverdächtigen Schützen handelt.
Dass er seine mörderischen Fantasien zuvor auf 8chan kundgetan hat (von wo aus sie eifrig verbreitet wurden), verwundert wenig. Die Website hat den Ruf, ein Sammelbecken, ja eine Rekrutierungsplattform für rechtsradikale Extremisten zu sein. Auch vor dem Christchurch-Attentat im März und vor dem Anschlag auf eine Synagoge im kalifornischen Poway im April waren Ankündigungen dort aufgetaucht. Wann immer er von einem Massaker höre, suche er sofort nach einer Verbindung zu 8chan, sagte Fredrick Brennan, der die Plattform 2013 gegründet hatte, zur „New York Times“.
Der auf den Philippinen lebende USSoftware-Entwickler wollte ein Internetparadies der freien Meinungsäußerung schaffen. Als Vorbild diente ihm 4chan, eine Art offenes Forum, das viele Onlinescherze hervorgebracht hat (etwa den Schmäh, im unpassendsten Kontext auf ein Video von Rick Astleys 80er-Jahre-Hit „Never Gonna Give You up“zu verlinken), das Brennan aber zu restriktiv geworden war. Die ausfälligsten Nutzer von 4chan folgten ihm zu 8chan: Hier ist jede Äußerung zugelassen, die nicht gegen US-Gesetze verstößt. Moderiert werden Diskussionen nur vom Nutzer, der sie begonnen hat. Das kann jeder tun, völlig anonym.
Genitalien und Verschwörungstheorien
So gibt es Einträge, in denen Nutzer Fotos ihrer Genitalien posten, neben Diskussionen über Zahnbürstendesinfektion. Unter dem Titel „El Paso False flag shooting“wird behauptet, das Attentat sei ein Täuschungsmanöver des „Deep State“, also angeblicher Bürokraten und Geheimagenten, die Donald Trump hintergehen wollen. Verschwörungstheorien wie diese findet man überall auf 8chan, genauso wie antisemitische, frauen-, fremden- und schwulenfeindliche Hetze in den vulgärsten Tönen. Ein Eintrag fordert auf, die „weiße Rasse“zu retten, indem man rechtsextreme Killer durch Memes, witzige Bilder, zu Helden stilisiert. Der ChristchurchTäter wird für seinen „Bodycount“gefeiert, als hätte er in einem Videospiel gesiegt. Wer durch 8chan surft, kann förmlich nachlesen, wie aus Hass im Netz tätliche Gewalt wird.
Das dürfte auch Brennan klar geworden sein, der kinderpornografische Inhalte auf 8chan einst als „Preis der Meinungsfreiheit“bezeichnete. Er hat die Seite an den ArmyVeteranen Jim Watkins verkauft, mittlerweile hat er nichts mehr mit 8chan zu tun. „Tu der Welt einen Gefallen und schalte es ab“, riet er Watkins via Twitter. Dass die Online-Hetze damit aufhört, ist freilich unwahrscheinlich: Ein 16chan wird schnell gegründet sein.