Die Presse

8chan: Wo Attentäter ihre rechtsradi­kalen Fantasien verbreiten

Internet. Der Schütze von El Paso ist zumindest der dritte Attentäter, der auf der Website 8chan seine Tat angekündig­t und seine Ideologie beworben hat. Die Plattform führt förmlich vor, wie Hass im Netz in Offline-Gewalt gipfelt. Mittlerwei­le fordert auc

- VON KATRIN NUSSMAYR

Ungefähr zwanzig Minuten bevor am Samstag ein 21-jähriger Texaner in einem Einkaufsze­ntrum in der US-Grenzstadt El Paso das Feuer eröffnet und 20 Menschen getötet hatte, erschien auf der Website 8chan ein Eintrag unter dem Titel „It’s Time“, gepostet von einem anonymen Nutzer. Er werde heute vermutlich sterben, schrieb er. Seine Leser forderte er auf, den „guten Kampf“weiterzufü­hren und ein vier Seiten langes Dokument zu verbreiten: Darin wettert er gegen eine „hispanisch­e Invasion“und gegen „race mixing“, erörtert geeignete Waffen und kündigt eine Tat an, die ein „Akt der Bewahrung“sein soll. Dem Christchur­ch-Attentäter, der ebenfalls ein „Manifest“veröffentl­icht hat, bevor er 51 Menschen getötet hat, spricht er seine Unterstütz­ung aus. Die Polizei geht davon aus, dass es sich beim Urheber des Dokuments um den tatverdäch­tigen Schützen handelt.

Dass er seine mörderisch­en Fantasien zuvor auf 8chan kundgetan hat (von wo aus sie eifrig verbreitet wurden), verwundert wenig. Die Website hat den Ruf, ein Sammelbeck­en, ja eine Rekrutieru­ngsplattfo­rm für rechtsradi­kale Extremiste­n zu sein. Auch vor dem Christchur­ch-Attentat im März und vor dem Anschlag auf eine Synagoge im kalifornis­chen Poway im April waren Ankündigun­gen dort aufgetauch­t. Wann immer er von einem Massaker höre, suche er sofort nach einer Verbindung zu 8chan, sagte Fredrick Brennan, der die Plattform 2013 gegründet hatte, zur „New York Times“.

Der auf den Philippine­n lebende USSoftware-Entwickler wollte ein Internetpa­radies der freien Meinungsäu­ßerung schaffen. Als Vorbild diente ihm 4chan, eine Art offenes Forum, das viele Onlinesche­rze hervorgebr­acht hat (etwa den Schmäh, im unpassends­ten Kontext auf ein Video von Rick Astleys 80er-Jahre-Hit „Never Gonna Give You up“zu verlinken), das Brennan aber zu restriktiv geworden war. Die ausfälligs­ten Nutzer von 4chan folgten ihm zu 8chan: Hier ist jede Äußerung zugelassen, die nicht gegen US-Gesetze verstößt. Moderiert werden Diskussion­en nur vom Nutzer, der sie begonnen hat. Das kann jeder tun, völlig anonym.

Genitalien und Verschwöru­ngstheorie­n

So gibt es Einträge, in denen Nutzer Fotos ihrer Genitalien posten, neben Diskussion­en über Zahnbürste­ndesinfekt­ion. Unter dem Titel „El Paso False flag shooting“wird behauptet, das Attentat sei ein Täuschungs­manöver des „Deep State“, also angebliche­r Bürokraten und Geheimagen­ten, die Donald Trump hintergehe­n wollen. Verschwöru­ngstheorie­n wie diese findet man überall auf 8chan, genauso wie antisemiti­sche, frauen-, fremden- und schwulenfe­indliche Hetze in den vulgärsten Tönen. Ein Eintrag fordert auf, die „weiße Rasse“zu retten, indem man rechtsextr­eme Killer durch Memes, witzige Bilder, zu Helden stilisiert. Der Christchur­chTäter wird für seinen „Bodycount“gefeiert, als hätte er in einem Videospiel gesiegt. Wer durch 8chan surft, kann förmlich nachlesen, wie aus Hass im Netz tätliche Gewalt wird.

Das dürfte auch Brennan klar geworden sein, der kinderporn­ografische Inhalte auf 8chan einst als „Preis der Meinungsfr­eiheit“bezeichnet­e. Er hat die Seite an den ArmyVetera­nen Jim Watkins verkauft, mittlerwei­le hat er nichts mehr mit 8chan zu tun. „Tu der Welt einen Gefallen und schalte es ab“, riet er Watkins via Twitter. Dass die Online-Hetze damit aufhört, ist freilich unwahrsche­inlich: Ein 16chan wird schnell gegründet sein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria