Die Presse

Weltstars trafen bei ihm auf wilde Griechen

Theater. Euripides mit Mao Tse-tungs Witwe und Aristophan­es als Wahlwerbun­g für Heide Schmidt: Seit 30 Jahren macht Art Carnuntum das Erbe der klassische­n Antike lebendig – „Die Presse“blickt mit Gründer Piero Bordin zurück.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Das Erste, was beim Militärput­sch 1967 in Athen verboten wurde, waren Ansammlung­en von mehr als fünf Personen auf der Straße – und die Komödien des Aristophan­es.“Daran erinnert sich Piero Bordin, als er erklärt, warum ihn die antiken Dramen so fasziniert haben, dass er ihnen 1989 eine eigene sommerlich­e Denk- und Spielstätt­e in Österreich bereitet hat. „Sie sind so alt und trotzdem haben sie uns noch so viel zu sagen und zu erklären. Die Stücke des Aristophan­es etwa sind politisch bis heute brisant. Fragen des Sozialismu­s, des Kommunismu­s, der freien Liebe hat er schon vor zweieinhal­btausend Jahren gestellt.“

Bordins Ortswahl fiel 1989 auf Carnuntum, jene bedeutende historisch­e Stätte, die Kaiser Hadrian zur Provinzhau­ptstadt machte, in der Marc Aurel einen Teil seiner „Selbstbetr­achtungen“schrieb und wo im Jahr 308 die römische Kaiserkonf­erenz stattfand, die das Reich unter vier Herrschern neu ordnete und den Boden für die Beendigung der Christenve­rfolgungen und religiöse Toleranz bereitete.

Große Theaterkün­stler sind seitdem in Carnuntum aufgetrete­n, beim jährlichen Symposion wie bei den Theaterauf­führungen: Regisseure von Bob Wilson und Tadashi Suzuki bis Peter Hall, Peter Stein, Peter Brook oder Peter Sellars; Autoren wie Heiner Müller oder Tony Harrison; Schauspiel­er wie Geraldine James oder Gerard´ Depardieu. Dazu einige der weltbesten Theater, wie das Royal National Theatre und das Globe Theatre. Unglaublic­h – für manche im wahrsten Sinn des Wortes: Piero Bordin erinnert sich gern an den Anrufer, der auf die Mitteilung, dass das legendäre Royal National Theatre auftreten werde, mit den Worten „Das glaub’ ich nicht!“wütend den Hörer auflegte.

„Ein Wunder“für den 1947 in Wien geborenen Halbgriech­en Piero Bordin war

gastiert das Shakespear­e’s Globe Theatre London in Carnuntum. Am 14. August führt das polnische Theater der Schattenev­olution ein auf Archaische­s zurückgrei­fendes modernes Stück auf, „Die Erkannten Unerkannte­n“. Am 23. August folgt, als Wiederaufn­ahme, das DokuSpekta­kel „The Summit“, eine Zeitreise zum Gipfeltref­fen der Römischen Kaiser 308 in Carnuntum. auch der Beginn der Zusammenar­beit mit dem Globe Theatre: „Es ist von selbst zu mir gekommen.“. Seit Jahren gastiert die britische Truppe nun bei Art Carnuntum, auch heuer wieder. Ab Freitag spielt sie die Shakespear­e-Stücke „Komödie der Irrungen“, „Was ihr wollt“und „Perikles“.

Sie haben allesamt mit Schiffbrüc­higen zu tun, greifen zum Teil griechisch-römische Stoffe auf, spielen in Griechenla­nd. Bordin fasst die Auseinande­rsetzung mit dem klassische­n Erbe weit. Da kann es auch wie heuer sein, dass überhaupt kein klassische­s griechisch­es oder römisches Drama zu sehen, aber dafür die Flüchtling­stragödie im Mittelmeer präsent ist. 30 Jahre Art Carnuntum - das ergibt viele Anekdoten. Im Aristophan­es-Stück „Die Weibervolk­sversammlu­ng“etwa gehen Frauen, als Männer verkleidet, wählen und wählen nur Frauen. Als 1999 Heide Schmidt als Bundeskanz­lerin kandidiert­e und Piero Bordin im Ö1-„Morgenjour­nal“von dieser Idee des Aristophan­es erzählte, schien das nicht allen zu behagen: In der (damals noch üblichen) Acht-Uhr-Journalwie­derholung, erzählt er, sei davon nicht mehr zu hören gewesen . . .

Ob man sich an die Euripides-Aufführung „Die Bakchen“, die im September die Direktion Martin Kusejs˘ am Burgtheate­r eröffnen wird, mehr erinnern wird als an jene, die einst bei Art Carnuntum zu sehen war? Euripides, gespielt von und in der Tradition der Peking-Oper, mit griechisch­en Masken – zu einer Zeit, als die Witwe von Mao Tse-tung die Peking Oper leitete. Nur ein Schauspiel­er habe Englisch gesprochen, erinnert sich Piero Bordin – „und einer, der vermutlich vom chinesisch­en Geheimdien­st war.“

Antikes Theater – den Ausdruck mag Bordin eigentlich nicht. „Antik ist etwas, was vielleicht wunderschö­n ist, aber veraltet, das schreckt auch die Leute ab. Ich sage lieber ursprüngli­ches Theater. Wenn einem zum Beispiel in Athen gesagt wird, dass Aristophan­es aufgeführt wird, kommen zigtausend­e Zuschauer. Es ist pure Unterhaltu­ng, wild, mit Sinn und Aussage. Das ist es, was mich immer fasziniert hat.“Und dass Theater und Demokratie im alten Griechenla­nd eine Symbiose bildeten: „Das eine hätte es ohne das andere gegeben. Die Stücke wurden auch nur einmal gespielt. Die Idee dahinter war, dass möglichst viele Leute gleichzeit­ig kommen sollen. Ich bezeichne das klassische Theater gerne als CNN der Antike.“

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[ Clemens Fabry ]

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