Mahlers Rettung aus dem Geiste Beethovens
Salzburger Festspiele. Igor Levit konfrontierte in seinem zweiten Soloprogramm Beethovens sprödes, formsprengendes Spätwerk mit einer Klavierbearbeitung des Adagios aus Gustav Mahlers Zehnter Symphonie.
Von den ungewöhnlichen Programmkonstellationen der Salzburger Konzerte sind jene, die Igor Levit anbietet, die ungewöhnlichsten. Nach einem Plädoyer für Ferruccio Busoni im Rahmen der „Ouverture“konfrontierte der Pianist nun die Sprödigkeit des späten Beethoven mit der letzten Musik, der Gustav Mahler, vom Tod gezeichnet, noch endgültige Form zu geben vermochte.
Schon Beethoven hat, die klassischen Formen sprengend, das Balancegefühl seiner Hörer vollkommen durcheinandergewürfelt. Mahlers Musik, der man solches nachsagt, klingt im Bezug zu Beethoven schon wieder wie eine verzweifelte Suche nach der verlorenen Melodie. Das Adagio gibt den Blick frei auf unterschiedliche Schichten einer Klangerzählung: Hier der hohe Gesang, da tänzerisch leichte, aber auf unsicherem Grund balancierende Figuren; und jede Wiederaufnahme der melodischen Linie wirkt, als hätte sie sich im Verborgenen weiterentwickelt, bis immer aberwitziger anschwellende Triller sie umschwirren und umfluten, um sie wieder in unergründliche Tiefen des Unterbewusstseins zurückziehen.
An der Wurzel der Moderne
Die Spannung zwischen Konsonanz und Dissonanz scheint hier an der Wurzel der musikalischen Moderne schon aufgehoben, ein Moll-Akkord kann in seiner schneidenden Wirkung so schmerzhaft sein wie der grelle vielstimmige Akkord, über dem das Geschehen zuletzt zusammenbricht.
Igor Levit macht Ronald Stevensons Klavierauszug zu einem Ereignis kontrapunktischer Beherrschung: Mögen noch so viele Stimmen die Poly- zur Heterophonie werden lassen, Levit gibt jeder Farbe, Charakter – oft scheint es, Mahler schichtet antagonistische Stimmungsmomente kühn übereinander, während Beethoven sie in seinem Variationswerk über Anton Diabellis Walzerthema kontrastierend hintereinandersetzt. Levit verwandelt, man weiß es längst, Beethovens op. 120 in ein Pandämonium pianistischer Kunstfertigkeit und musikalischer Ausdrucksvielfalt.
Konsequent, dass am Ende dieses Programms als Zugabe noch das Adagietto aus der Fünften folgt: ein poetischer, noch ungebrochener Instrumentalgesang, den die Aufführungsgeschichte seit seiner cineastischen Verwendung in Viscontis „Tod in Venedig“rettungslos verkitscht hat. Bei Levit erklingt er zwar im mittlerweile gewohnt langsamen (im Vergleich zu Bruno Walters noch von Mahler herrührender Lesart zu langsamen) Tempo, doch in jener vollkommenen Freiheit, die jede Stimme des zarten Geflechts atmen lässt. Das Stück war, Willem Mengelberg hat uns das überliefert, ein Liebesbrief an jene Alma, deren Untreue den Komponisten später zu den verzweifelten Ausbrüchen seiner Zehnten „inspiriert“hat. Diesmal war er dank des besonnen-innigen Zugriffs völlig „unbelastet“zu entziffern. Als könnte ein Pianist einen Komponisten vor seinen dirigierenden Interpreten retten . . .