Die Presse

Das reale Töten wird zum Spiel

Der Massenmord in El Paso ähnelt dem in Christchur­ch. Rassistisc­h motiviert und vorab im Internet angekündig­t.

- VON NICOLAS STOCKHAMME­R Dr. Nicolas Stockhamme­r ist Terrorismu­sforscher und wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Rahmen der Forschungs­gruppe Polemologi­e und Rechtsethi­k (Universitä­t Wien und Landesvert­eidigungsa­kademie).

Amoklauf oder Terroransc­hlag? Diese Frage steht nach Massentötu­ngen sofort im Raum. Die Trennlinie­n sind dabei nicht immer eindeutig zu ziehen. Terroriste­n bedienen sich häufig einer Amoklaufta­ktik. Das wahrschein­lich zutreffend­ste Unterschei­dungskrite­rium ist die politische Motivation respektive Zielsetzun­g von Gewalt. Diese ist, neben der taktisch-logistisch­en Fähigkeit, einen Anschlag durchzufüh­ren, die wesentlich­e Voraussetz­ung für Terror.

Im Falle des rechtsextr­emistisch motivierte­n Terroransc­hlags von El Paso am vergangene­n Wochenende war beides gegeben: Der mutmaßlich­e Attentäter, ein 21-jähriger Texaner, hat ganz bewusst eine neunstündi­ge Autofahrt auf sich genommen, um zahlreiche Menschen zu töten. Dies war keine Impulshand­lung, sondern ein kaltblütig geplanter, rassistisc­h begründete­r Mord. Die Opfer sind mehrheitli­ch mexikanisc­hstämmige Personen, die in einem grenznahen Einkaufsze­ntrum bummelten.

Das Tatmuster ähnelt jenem der Anschläge im neuseeländ­ischen Christchur­ch im Frühjahr. Der verdächtig­e Todesschüt­ze ist wie der Attentäter von Christchur­ch, Brenton Tarrant, ein „White Supremacis­t“. Also jemand, der von der „Überlegenh­eit der weißen Rasse“überzeugt und vom Narrativ des „Großen Austauschs“, einer infamen Verschwöru­ngstheorie, die eine bewusste „rassische Umvolkung“durch politische Kräfte suggeriert, beseelt ist. Er hat seinen geplanten Massenmord auf einschlägi­gen Netzplattf­ormen wie 8Chan angekündig­t und ein derbes Manifest verfasst, in dem er seine heimtückis­che Tat als Selbstvert­eidigung gegen eine vermeintli­che Invasion durch Zuwanderer rechtferti­gt.

Zuletzt schrieb Robert Evans vom Trend der Gamifizier­ung („gamificati­on“) des Terrors. Vor allem in der rechtsextr­emistische­n Szene werden soziale Netzwerke stets intensiver dazu

benutzt, um das Massenmord­en propagandi­stisch auszuschla­chten. Bereits Tarrant streamte seinen Ego-Shooter-Mord live im Internet, auch sein Nachahmer in El Paso kündigte dort sein Tatvorhabe­n an und postete dann auch sein zynisches „Manifest“. Es scheint beim Rechtsterr­or fast ein Wettbewerb um die höchstmögl­iche Opferzahl ausgebroch­en zu sein. In der Szene kursieren „Beat my score“-Fotos von Breivik, Tarrant u. a. Eine brandgefäh­rliche Entwicklun­g, wenn das reale Töten als (Computer?-) Spiel begriffen wird!

Das Pamphlet des Attentäter­s strotzt vor billiger Polemik und rechtsextr­emistische­r Propaganda. Immer wieder ist von einer „existenzie­llen Bedrohung“die Rede. Man kommt nicht umhin, aktuelle Äußerungen des amtierende­n US-Präsidente­n, der pauschal von einer „Migrantenk­arawane“und einem „Rudel“(„wolfpack“) von Kriminelle­n sprach zu kontextual­isieren. Es steht außer Zweifel, dass Trumps zuspitzend­e, mitunter politisch inkorrekte Wortwahl, die auch dem Wahlkampf geschuldet sein mag, dazu beiträgt, in den USA ein Klima der Spaltung zu befördern. Eine feindselig­e Rhetorik mit exklusiven Identitäts­konstrukti­onen, ein liberales Waffengese­tz und ebenjenes verdorbene politische Klima sind der Nährboden, quasi ein begünstige­ndes Milieu, für derartige Schreckens­taten. Dabei ist es unerheblic­h, ob Rechtsextr­eme oder Jihadisten die Attentäter sind. Denn Terrorismu­s bleibt eine subversive Taktik des perfiden Mordens Unschuldig­er zu politische­n Zwecken unter größtmögli­cher öffentlich­keitswirks­amer Ausschlach­tung. Dessen Seinsgrund ist – wie sein Name schon verheißt – der Schrecken.

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