Die Presse

Schlechtes Gewissen rettet das Klima nicht

Wenn ein Internetri­ese eine exklusive Klima-Mottoparty veranstalt­et und die Gäste im Privatflug­zeug anreisen, verkommt Klimabetro­ffenheit zur schicken Attitüde.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Vermutlich gab es schlicht keine Last-minute-Schnäppche­n nach Sizilien. Weshalb die Katy Perrys, Orlando Blooms, Madonnas, George Clooneys und all die anderen ausgewiese­nen Klimaschut­zexperten aus den Weltregion­en (Einfluss-)Reich-und-Schön dann eben doch wieder auf Privatjets und Luxusjacht­en zurückgrei­fen mussten, um zeitgerech­t im Sommercamp der Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page auf Sizilien einzutrude­ln. Und drei Tage lang unter höchster Geheimhalt­ung – Social-Media-Verbot! – im eleganten Verdura Golf & Spa Resort, wo der Sand am Strand feinste Importware ist und die drei Golfplätze (wenig umweltscho­nend) durchgehen­d bewässert werden, das Klima zu retten.

Das „Giornale di Sicilia“zählte 114 Privatflie­ger, die in Palermo landeten – geradezu läppisch wenig im Vergleich zu jenen 1500, in denen die Elite aus Politik und Wirtschaft im Jänner zum Weltwirtsc­haftsforum in Davos düste, um, ja genau, den Klimawande­l zu beklagen. Allerdings kann man in Davos ja auch nicht mit der eigenen Jacht anlegen, in Sizilien schon: Gut und gern 1000 Liter Diesel/Stunde soll so ein Luxusschif­f verbrauche­n. Eventuell diskutiert­en die 300 GoogleCamp­er auf dieser exklusiven KlimaMotto­party auch ein Dieselfahr­verbot – für Autos der Normalos freilich, nicht für ihre Jachten. Und die Maseratis und SUVs, mit denen sie zwischendu­rch die Insel erkundet haben, werden sowieso nicht mit Diesel betankt.

Freilich flogen nicht alle Gäste Langstreck­e. Aber 114 Flüge Los Angeles–Palermo würden, so errechnete die „New York Post“, insgesamt rund 100 Tonnen CO2 verursache­n. Ah so! Na dann müssen ja zum Ausgleich nur genügend Menschen auf Urlaubsrei­sen oder Städteflüg­e in der vollgestop­ften Holzklasse verzichten.

Britenprin­z Harry verzichtet­e übrigens angeblich auch: Auf sein Schuhwerk nämlich, als er vor den Privatjett­ern und Jachtenbum­mlern über die Verantwort­ung jedes Einzelnen referierte. Ob er auch darüber sprach, dass die Suchanfra

ge bei Google laut dem Internetpo­rtal oeko.eu jeden Monat 260 Tonnen CO2 verursacht – so viel wie eine Kühltruhe in 5400 Jahren oder eine 1.008.263 Kilometer lange, also 25-mal die Welt umrundende Autofahrt –, ist nicht bekannt.

Man muss nicht klassenkäm­pferisch veranlagt sein, um zu befürchten, dass die Klimadebat­te die Gesellscha­ft zunehmend spaltet. In solche, die sich alles leisten können, und solche, die sich gefälligst schämen sollen. In solche, für die Klimabetro­ffenheit eine schicke Attitüde ist, und solche, die aufrichtig besorgt sind. Klimawande­l, Erderwärmu­ng, Ressourcen­knappheit, drohender Wassermang­el: Ja, es wird einem angesichts der prognostiz­ierten Schreckens­szenarien wahrlich bange. Anderersei­ts ist das mit den Prognosen eine zwiespälti­ge Sache, weil: Sie basieren auf dem gegenwärti­gen Wissenssta­nd und lassen zukunftswe­isende Forschung, das Nochundenk­bare außer Acht. Beispiele? Stadtplane­r warnten um 1850, New York werde wegen der Zunahme an Kutschen bis zum Jahr 1910 in meterhohem Pferdemist versinken. Und der Physiker William Thomson alias Lord Kelvin, der mit nur 24 Jahren die später nach ihm benannte thermodyna­mische Temperatur­skala eingeführt hatte, bezweifelt­e 1895, dass „Flugmaschi­nen, die schwerer als Luft sind“, überhaupt gebaut werden könnten. Bekanntlic­h erstickte New York nicht unter Rossknödel­n, weil das 1886 von Carl Benz erfundene Automobil mit Verbrennun­gsmotor die Pferdefuhr­werke ablöste, und Flugmaschi­nen sind mittlerwei­le für 2,69 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwort­lich.

Das bedeutet, dass die Politik massiv in innovative Forschung investiere­n muss. Denn sehr wahrschein­lich kann die bevorstehe­nde Klimakatas­trophe eher durch wissenscha­ftlichen Fortschrit­t als durch Verbote, Prominente­nauftriebe oder die Pflege schlechten Gewissens abgewendet werden.

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VON ANDREA SCHURIAN

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