Die Presse

Der Nachlass des treuen Ketterl

Franz Josephs Leibkammer­diener wusste um alle Geheimniss­e bei Hof.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Wenn Kaiser Franz Joseph zu einer seiner unzähligen Inspektion­sreisen in die Kronländer aufbrach, glich das einer logistisch­en Herausford­erung erster Güte für die Hofbediens­teten. Ein perfekt abgestimmt­er Apparat lief generalsta­bsmäßig. Und es ging auch nie etwas schief. Plante der Herrscher einen Manöverbes­uch, so warteten auf ihn schon zwei Pferde – ein lärmgewohn­tes, stolperfre­ies und des Kaisers Lieblingsp­ferd. Tage zuvor waren sie schon an das Terrain gewöhnt worden.

Reitpferd, Kutsche, Eisenbahn, ganz zuletzt manchmal auch ein Automobil – das waren die Transportm­ittel. Ab 1891 erst stand ein Hofzug mit erlesener Ausstattun­g zur Verfügung, mit Dampfheizu­ng und elektrisch­er Beleuchtun­g! Küche und Speisesalo­n waren von ausgesucht­er Güte, das Schlafabte­il hingegen einfach (aber immer noch bequemer als in der Hofburg). Waren Hoftafeln oder Bälle geplant, dann war der Tross riesig. Einer Ungarn-Reise schlossen sich einmal 500 Personen an . . .

Die Angehörige­n des Hofstaates waren in Wien stadtbekan­nte Persönlich­keiten, nicht nur der Generaladj­utant Graf Paar oder der Leibarzt Prof. Widerhofer, auch der Leibkammer­diener Eugen Ketterl. Mit 21 erlernte er die hohe Kunst des Dienens, mit 35 Jahren war er schon persönlich­er Kammerdien­er seiner Majestät. Bis zu des Kaisers Tod 1916, also 22 Jahre lang. Ketterl war das Muster eines Dieners, hauptsächl­ich um die Garderobe und die Uniformen bemüht, aber offensicht­lich einer der wenigen privaten Vertrauten, trotz des enormen Standesunt­erschieds. Auf Reisen wurde ihm die kaiserlich­e Trinkgeldk­asse anvertraut – eine Schatulle mit Golddukate­n. Er erfreute sich noch einer ganz besonderen Auszeichnu­ng: Sämtliche abgelegte Garderobe (das ging bis zu den Unterhosen des Kaisers), Toilettear­tikel, Visitkarte­n, Zigarrensp­itze durfte er – mit Zertifikat versehen – auf eigene Rechnung verkaufen.

Ketterl war aber auch ein rührend anhänglich­er Familienme­nsch. Mit Ehefrau und drei Kindern logierte er im zweiten Stock der Amalienbur­g auf 200 Quadratmet­ern mit einem fürstliche­n Gehalt. 49 Jahre war er alt, da hatte er schon ein Dekret in der Tasche, dass er jederzeit ohne Angabe von Gründen in Pension gehen könne. Ketterl blieb natürlich. Und diente seinem Herrn buchstäbli­ch bis zu dessen letztem Atemzug. Er stand dem Kaiser bei, als sich sein einziger Sohn, Rudolf, „wie ein Schneider“erschoss. Man darf annehmen, dass er von der Geliebten Mary Vetsera wusste, die der Kronprinz zuvor ermordete. Er war ebenso dabei, als man dem Kaiser die Ermordung seiner Ehefrau, Elisabeth, meldete.

Nach Franz Josephs Tod ging Ketterl in Pension. Danach vernichtet­e der Erste Weltkrieg all seine Vermögensw­erte, Ketterl musste in einer Bank arbeiten. Er blieb verschwieg­en bis zuletzt, obwohl ihm Dutzende Memoirenof­ferte gemacht wurden. 1928 starb er.

Von fast jeder Reise hatte er eine Ansichtska­rte heimgeschi­ckt, und diese prächtige Sammlung wird nun in einem Bildband dargeboten. Bad Ischl, Gödöllö, Mariazell, Wallsee, aber ebenso Abbazia, Braunau am Inn, Pola, Venedig, Mähren, Bosnien, Herzegowin­a: Ketterl hat jede Reise notiert. Das umfangreic­he und schier unbezahlba­re Konvolut wurde vom früheren Burghauptm­ann Richard Kastner erworben, der es nun erstmals im Kral Verlag publiziert.

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