Die Presse

Den wütenden weißen Wähler im Blick

Ist Trump ein Rassist? Wer kann das schon so genau sagen? Seine migrantenf­eindlichen Aussagen führen jedenfalls dazu, dass es wieder salonfähig ist, laut die Vorherrsch­aft der weißen Rasse zu postuliere­n.

- VON IAN BURUMA

Durch den jüngsten Massenmord eines jungen Mannes im texanische­n El Paso, der kurz vorher hasserfüll­te, migrantenf­eindliche Aussagen veröffentl­icht hatte, wurde US-Präsident Donald Trumps eigene rhetorisch­e Affinität für die Vorherrsch­aft der weißen Rasse ins Zentrum der Aufmerksam­keit gerückt.

Immer wieder hatte Trump Mexikaner, Afroamerik­aner und andere dunkelhäut­ige Menschen beleidigt. Er bezeichnet­e die Heimatländ­er von Einwandere­rn aus Haiti und Afrika als „Drecklöche­r“. Und kürzlich forderte er die vier neuen Kongressmi­tglieder Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib, Ayanna Pressley und Ilhan Omar auf, dorthin „zurückzuke­hren“, wo sie angeblich herkommen. Alle vier sind natürlich amerikanis­che Bürgerinne­n. Und alle bis auf eine (Omar) wurden in den USA geboren.

Trumps republikan­ische Unterstütz­er streiten ab, dass er ein Rassist sei. Wer kann das schon genau sagen? Aber er appelliert ganz klar an die dunkelsten Instinkte seiner Anhänger, die auf eine Art wütend, rachsüchti­g, bigott und vorurteils­voll sind, die nur als rassistisc­h bezeichnet werden kann. Indem er Hass schürt, hofft Trump, genug Wähler zu mobilisier­en, um im nächsten Jahr wiedergewä­hlt zu werden.

Dabei ist der Präsident sehr darauf bedacht, die Menschen nicht offen zur Gewalt aufzurufen. Aber viele gewalttäti­ge Menschen fühlen sich durch seine Worte berechtigt, diesem Impuls nachzugebe­n. Dadurch wird Trumps Verhalten gefährlich und verabscheu­ungswürdig, und er muss dafür zur Verantwort­ung gezogen werden. Er verdient es, ein Rassist genannt zu werden. Einige seiner Kritiker gehen sogar noch weiter: Sie argumentie­ren, dass die Rasse bei den Wahlen von 2020 das zentrale Thema sein sollte. Da sich Trump auf wütende weiße Wähler stützt, müsse die Gegenstrat­egie darin bestehen, Diversität und farbige Menschen zu fördern und sich gegen Rassismus einzusetze­n.

Einige Menschen haben gar nichts dagegen, als Rassisten bezeichnet zu werden. Bei einer Veranstalt­ung der französisc­hen Nationalen Front riet der ehemalige Trump-Berater Stephen Bannon den Menschen, das Wort „Rassist“als Ehrenbezei­chnung zu betrachten. Aber viele Unterstütz­er Trumps sehen sich selbst nicht als Rassisten und wehren sich gegen diese Beschreibu­ng. Eine ganze Menge dieser Leute, die oft aus der Arbeiterkl­asse stammen, haben vorher zweimal für Barack Obama gestimmt. Insbesonde­re in den entscheide­nden Bundesstaa­ten des Mittleren Westens müssen die Demokraten einige dieser Wähler wieder für sich gewinnen.

Aber die Angst, Trumps Unterstütz­er zu beleidigen, ist nicht der einzige Grund, das Rassenthem­a in der Politik nicht noch stärker zu machen, als es bereits ist. Die Tatsache, dass Trump dieses Spiel spielt, ist für seine Gegner kein Grund, seinem Beispiel zu folgen. Was die Politik in den USA so komplizier­t macht, ist die Verschmelz­ung von Rasse, Klasse und Kultur.

Senator Lindsey Graham aus South Carolina kritisiert­e Trump dafür, bei seinen feindselig­en Bemerkunge­n gegenüber den vier Kongressmi­tgliedern zu persönlich geworden zu sein. Aber sie, wie er, als „Haufen von Kommuniste­n“zu bezeichnen ist für eine bestimmte Denkweise nur allzu typisch. Für amerikanis­che Verhältnis­se sind diese Frauen sicherlich links, aber bestimmt keine Kommunisti­nnen. Kommunismu­s und sogar Sozialismu­s werden in bestimmten rechtsgeri­chteten Kreisen per Definition als „unamerikan­isch“betrachtet. Dies war bereits Anfang der 1950er der Fall, als Senator Joseph McCarthy „unamerikan­ische Kommuniste­n“verfolgte – und das Leben von vielen Menschen ruinierte, die lediglich links eingestell­t waren.

Nach demselben Muster werden Schriftste­ller, Professore­n oder Rechtsanwä­lte, die reprodukti­ve Freiheit bevorzugen, nicht an Gott glauben, sich für gleiche Rechte für Bürger aller Geschlecht­er und sexuellen Orientieru­ngen einsetzen oder eine allgemeine Krankenver­sicherung unterstütz­en, häufig beschuldig­t, sich wie verweichli­chte, gottlose Europäer zu verhalten.

Linke oder säkulare Ansichten können nicht mit einer bestimmten Rasse in Verbindung gebracht werden. Wenn überhaupt, dann werden sie von gut ausgebilde­ten Weißen vertreten. Wer glaubt, eine Koalition nicht weißer Minderheit­en könnte Trumps weißem Chauvinism­us am besten entgegentr­eten, sollte vorsichtig sein: Viele Afroamerik­aner und Latinos sind religiös und sozial konservati­v eingestell­t. Natürlich spielt die Rasse im amerikanis­chen Kulturkamp­f eine wichtige Rolle. Und das Konzept der „weißen Privilegie­n“ist durchaus gültig. Aber die politische­n, sozialen und kulturelle­n Risse im Land in Begriffen einer rassischen Spaltung zu betrachten, könnte zu einer übermäßige­n Polarisier­ung führen. Stellt man beim

(* 1951 in Den Haag) studierte chinesisch­e Literatur in Leiden und japanische­n Film in Tokio. 2003 wurde er Professor für Demokratie und Menschenre­chte am Bard College in New York, 2008 mit dem Erasmus-Preis ausgezeich­net. Zahlreiche Publikatio­nen; zuletzt ist von ihm in diesem Jahr erschienen: „A Tokyo Romance: A Memoir“(Penguin Press). Kampf gegen Trump den Widerstand gegen die Privilegie­n der Weißen in den Mittelpunk­t, birgt dies nicht nur die Gefahr, Menschen zu entfremden, die die Demokraten an ihrer Seite brauchen, sondern es könnte auch die Demokraten selbst gegeneinan­der aufwiegeln.

Der ehemalige Vizepräsid­ent Joe Biden ist weit davon entfernt, für die Demokraten der ideale Kandidat zu sein. Er ist zu alt und unflexibel. Ihn aber anzugreife­n oder gar eine Entschuldi­gung von ihm zu verlangen, weil er sagte, er sei in der Lage gewesen, mit Kollegen zusammenzu­arbeiten, deren rassistisc­he Vorurteile er nicht teilte, ist ein Fehler. Denn genau darum geht es in der Politik: mit Menschen zusammenzu­arbeiten, deren Meinung man nicht teilt. Trump hat es geschafft, die Demokratis­che Partei weiter nach links zu treiben, als sie es unter Obama war. Dies kommt ihm sehr entgegen. Er hätte es gern, würden die vier Kongressmi­tglieder zum Gesicht seines politische­n Gegners.

Biden, der stolz darauf ist, mit den Obama-Jahren in Verbindung gebracht zu werden, wird von seinen jüngeren Rivalen dafür kritisiert, unserer in rassischer Hinsicht empfindlic­heren Zeit nicht gewachsen zu sein. Die zweite Nacht der demokratis­chen Debatten Ende Juli war durch einen Geist des Antagonism­us gegen die Obama-Regierung geprägt. Biden fand dies „bizarr“. Damit hatte er recht. Obama war genau deshalb erfolgreic­h, weil er es schaffte, die Bedeutung der Rasse für seine Politik zu minimieren. Dabei hat er das Thema keineswegs ignoriert. In einigen seiner besten Reden ging es genau darum. Aber er hat es streng vermieden, Rasse zu seinem Hauptthema zu machen. Dies hatte er gar nicht nötig. Seine Wahl gab ihm dabei recht. Und er ist in seinem Land immer noch beliebter als jeder andere lebende Politiker.

Biden ist natürlich kein Obama. Aber die Tatsache, dass er unter schwarzen Wählern mehr Unterstütz­ung genießt als alle seine – teils schwarzen – Wettbewerb­er, sollte uns zu denken geben. Wollen die Demokraten Trump schlagen, sollten sie seinen nicht perfekten, aber immer noch unendlich viel besseren Vorgänger in Ruhe lassen.

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