Die Presse

Wem wird die SPÖ fehlen (außer Funktionär­en), wenn sie untergeht?

Die Sozialdemo­kratie hat ihre historisch­e Mission erfüllt. Wozu sie heute noch gut sein soll, weiß sie offenkundi­g selbst nicht.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Sollten die Wahlen auch nur annähernd so ausgehen, wie das derzeit die Umfragen andeuten, wird am Abend des 29. September die SPÖ-Parteichef­in Pamela Rendi-Wagner erklären, an der Niederlage sei schuld, dass die hervorrage­nden Konzepte der Sozialdemo­kraten „leider nicht ausreichen­d gut kommunizie­rt worden sind“, und was man in einer misslichen Situation halt sonst so von sich gibt. Im Übrigen müssten nun „die Gremien“diskutiere­n.

In der Analyse der Gremien werden vermutlich alle möglichen Gründe für das maue Abschneide­n der Partei hin und her gewälzt werden, nur einer nicht: dass nämlich möglicherw­eise die Sozialdemo­kratie, nicht nur in Österreich, ihre historisch­e Aufgabe erfüllt hat – und deswegen von niemandem mehr wirklich gebraucht wird, außer von ihren Funktionär­en und den anderen Stützen und Nutznießer­n der Partei.

Zu diesem Befund kam jüngst der bürgerlich­e Historiker Michael Wolffsohn, unter anderem Autor einer angesehene­n Willy-Brandt-Biografie („Friedenska­nzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror“). Unter dem programmat­ischen Titel „Ein Nachruf“schreibt er: „Im sozialdemo­kratisiert­en Wohlfahrts­staat hat die Sozialdemo­kratie ihre historisch­e Aufgabe erfüllt. Sozialdemo­kratisches ist längst nicht mehr das Monopol der Sozialdemo­kratie. Es ist Allgemeing­ut ... die Sozialdemo­kratie ganz allgemein hat ihre historisch­e Mission erfüllt, indem sie ,die da unten‘ ohne Blutvergie­ßen nach oben gebracht und Sozialdemo­kratismus im Sinne überpartei­licher und axiomatisc­her Wohlfahrts­staatlichk­eit fest etabliert hat.“(„NZZ“, 29. 6. 2019)

Eine Diagnose, die in Österreich zumindest ebenso zutrifft wie in Deutschlan­d. Die „Sozialdemo­kratisieru­ng“aller Parteien ist weit fortgeschr­itten und nimmt damit der SPÖ das zentrale Alleinstel­lungsmerkm­al. Jene „Sozialiste­n in allen Parteien“, denen der österreich­ische Nobelpreis­träger Friedrich August von Hayek sein Hauptwerk „The Road to Serfdom“gewidmet hat, sind längst zur bestimmend­en Kraft in allen Segmenten

des politische­n Spektrums geworden. Das zeigte sich beispielha­ft, als das Kabinett Kurz als erste wesentlich­e Reform 2018 nicht etwa die Wirtschaft liberalisi­erte, privatisie­rte oder sonst irgendwas menschenve­rachtend Neoliberal­es umsetzte, sondern – einen steuerlich­en Familienbo­nus einführte.

Für die real existieren­de Sozialdemo­kratie eine möglicherw­eise letale Entwicklun­g. Es geht ihr ein bisschen wie jemandem, der heute eine Partei gründet, die sich gegen Sklaverei, Kinderarbe­it und für das Frauenwahl­recht einsetzte. Ja, eh, aber als Alleinstel­lungsmerkm­al taugt das halt heute nicht mehr wirklich.

Eine attraktive Antwort auf die Frage, wofür die Sozialdemo­kratie eigentlich noch steht, außer dem von allen anderen mittlerwei­le außer Streit gestellten Wohlfahrts­staat sozialdemo­kratischer Prägung ist aber weit und breit nicht zu hören. Gerade in jenen Politikfel­dern nicht, die derzeit im Vordergrun­d stehen. In der Klimapolit­ik nicht wirklich, weil da die Gewerkscha­ften mit ihrer (legitimen) Fokussieru­ng auf „Arbeitsplä­tze“hinderlich sind, und in der Migrations­frage nicht, weil da die Sozialdemo­kraten seit 2015 eine falsche Abzweigung erwischt haben, die ins Nichts führt.

Dazu kommt, dass sich sogenannte populistis­che Parteien in ganz Europa ungeniert und clever wirtschaft­s- und sozialpoli­tisch links positionie­rt haben, von der FPÖ über die italienisc­he Lega bis zu Marine Le Pen. Im Großen und Ganzen haben wir es da stets mit Spielarten des nationalen Sozialismu­s zu tun – was die eher internatio­nalen Sozialiste­n bei SPD oder SPÖ natürlich Marktantei­le kostet.

„Die Menschheit“, bilanziert der Historiker Wolffsohn durchaus versöhnlic­h, „verdankt der Sozialdemo­kratie unendlich viel Menschlich­keit“. Weil Dankbarkei­t aber zu Recht keine politische Kategorie ist, kann dies die Sozialdemo­kratie freilich nicht vor dem Aussterben bewahren.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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