Wem wird die SPÖ fehlen (außer Funktionären), wenn sie untergeht?
Die Sozialdemokratie hat ihre historische Mission erfüllt. Wozu sie heute noch gut sein soll, weiß sie offenkundig selbst nicht.
Sollten die Wahlen auch nur annähernd so ausgehen, wie das derzeit die Umfragen andeuten, wird am Abend des 29. September die SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner erklären, an der Niederlage sei schuld, dass die hervorragenden Konzepte der Sozialdemokraten „leider nicht ausreichend gut kommuniziert worden sind“, und was man in einer misslichen Situation halt sonst so von sich gibt. Im Übrigen müssten nun „die Gremien“diskutieren.
In der Analyse der Gremien werden vermutlich alle möglichen Gründe für das maue Abschneiden der Partei hin und her gewälzt werden, nur einer nicht: dass nämlich möglicherweise die Sozialdemokratie, nicht nur in Österreich, ihre historische Aufgabe erfüllt hat – und deswegen von niemandem mehr wirklich gebraucht wird, außer von ihren Funktionären und den anderen Stützen und Nutznießern der Partei.
Zu diesem Befund kam jüngst der bürgerliche Historiker Michael Wolffsohn, unter anderem Autor einer angesehenen Willy-Brandt-Biografie („Friedenskanzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror“). Unter dem programmatischen Titel „Ein Nachruf“schreibt er: „Im sozialdemokratisierten Wohlfahrtsstaat hat die Sozialdemokratie ihre historische Aufgabe erfüllt. Sozialdemokratisches ist längst nicht mehr das Monopol der Sozialdemokratie. Es ist Allgemeingut ... die Sozialdemokratie ganz allgemein hat ihre historische Mission erfüllt, indem sie ,die da unten‘ ohne Blutvergießen nach oben gebracht und Sozialdemokratismus im Sinne überparteilicher und axiomatischer Wohlfahrtsstaatlichkeit fest etabliert hat.“(„NZZ“, 29. 6. 2019)
Eine Diagnose, die in Österreich zumindest ebenso zutrifft wie in Deutschland. Die „Sozialdemokratisierung“aller Parteien ist weit fortgeschritten und nimmt damit der SPÖ das zentrale Alleinstellungsmerkmal. Jene „Sozialisten in allen Parteien“, denen der österreichische Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek sein Hauptwerk „The Road to Serfdom“gewidmet hat, sind längst zur bestimmenden Kraft in allen Segmenten
des politischen Spektrums geworden. Das zeigte sich beispielhaft, als das Kabinett Kurz als erste wesentliche Reform 2018 nicht etwa die Wirtschaft liberalisierte, privatisierte oder sonst irgendwas menschenverachtend Neoliberales umsetzte, sondern – einen steuerlichen Familienbonus einführte.
Für die real existierende Sozialdemokratie eine möglicherweise letale Entwicklung. Es geht ihr ein bisschen wie jemandem, der heute eine Partei gründet, die sich gegen Sklaverei, Kinderarbeit und für das Frauenwahlrecht einsetzte. Ja, eh, aber als Alleinstellungsmerkmal taugt das halt heute nicht mehr wirklich.
Eine attraktive Antwort auf die Frage, wofür die Sozialdemokratie eigentlich noch steht, außer dem von allen anderen mittlerweile außer Streit gestellten Wohlfahrtsstaat sozialdemokratischer Prägung ist aber weit und breit nicht zu hören. Gerade in jenen Politikfeldern nicht, die derzeit im Vordergrund stehen. In der Klimapolitik nicht wirklich, weil da die Gewerkschaften mit ihrer (legitimen) Fokussierung auf „Arbeitsplätze“hinderlich sind, und in der Migrationsfrage nicht, weil da die Sozialdemokraten seit 2015 eine falsche Abzweigung erwischt haben, die ins Nichts führt.
Dazu kommt, dass sich sogenannte populistische Parteien in ganz Europa ungeniert und clever wirtschafts- und sozialpolitisch links positioniert haben, von der FPÖ über die italienische Lega bis zu Marine Le Pen. Im Großen und Ganzen haben wir es da stets mit Spielarten des nationalen Sozialismus zu tun – was die eher internationalen Sozialisten bei SPD oder SPÖ natürlich Marktanteile kostet.
„Die Menschheit“, bilanziert der Historiker Wolffsohn durchaus versöhnlich, „verdankt der Sozialdemokratie unendlich viel Menschlichkeit“. Weil Dankbarkeit aber zu Recht keine politische Kategorie ist, kann dies die Sozialdemokratie freilich nicht vor dem Aussterben bewahren.