Die Presse

Salvini greift nach der Macht

Lega-Chef Salvini kündigt ein Misstrauen­svotum gegen den Premier seiner Koalition mit den Fünf Sternen an. Warum er Neuwahlen anstrebt und wer ihm einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Italien.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUT SIEFERT

Rom. Die italienisc­he Regierung ist am Ende der Fahnenstan­ge angelangt. Vizepremie­r Matteo Salvini will es wissen, er drängt auf Neuwahlen. Am Freitag kündigte seine rechtspopu­listische Lega ein Misstrauen­svotum im Senat gegen Giuseppe Conte, den Ministerpr­äsidenten der Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung an.

1 Was erhofft sich Innenminis­ter Matteo Salvini davon, wenn er die Koalition platzen lässt?

Seit der Wahl im März 2018 erlebt Matteo Salvini einen steilen Aufstieg. Aus den Wahlen ist seine rechte Lega noch mit nur 17,3 Prozent hervorgega­ngen – und ist damit eigentlich nur der Juniorpart­ner der Regierungs­koalition mit der populistis­chen FünfSterne-Bewegung. Sie hat bei den Wahlen noch 32,7 Prozent der Stimmen einfahren können. Nach rund 14 Monaten Regierungs­zeit haben sich diese Werte in den Umfragen allerdings umgekehrt.

Bisher hat Salvini immer betont, ihm läge nichts am Amt des Ministerpr­äsidenten. Doch der Bruch mit dem Regierungs­partner bedeutet, dass er nach der Macht greift. Regierungs­chef Giuseppe Conte warf dem 46-Jährigen vor, aus der Zustimmung, die seine Partei gerade genieße, Kapital schlagen zu wollen. Auch Salvini macht nun kein Hehl mehr daraus, was sein Ziel ist: „Ich werde die Italiener auffordern, mir volle Befugnisse“bei einer Neuwahl zu geben, sagte er in Pescara. 2 Wie ist es zu dieser Regierungs­krise in Italien gekommen? Schon seit Anbeginn der Regierung aus den ungleichen Partnern im Juni 2018 gibt es Meinungsve­rschiedenh­eiten und Streit, unter anderem über die Einführung eines Mindestloh­ns, Steuersenk­ungen oder die Autonomie für einige Regionen. Doch bisher schafften es die beiden Vizepremie­rs Matteo Salvini (Lega) und Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung), diese Konflikte nicht eskalieren zu lassen.

Am Mittwoch jedoch ist es im Senat zum Showdown gekommen: Die Fünf-Sterne-Bewegung hat einen Antrag auf einen Stopp der geplanten Schnellzug­trasse zwischen Lyon und Turin gestellt – ein Projekt, das die Lega unter allen Umständen fortführen will. Der Antrag wurde abgelehnt: Die Senatoren der Lega stimmten zusammen mit der Opposition gegen den Regierungs­partner. Innenminis­ter Matteo Salvini machte am Donnerstag klar, dass er daher keine Zukunft mehr für das Bündnis sieht.

3 Wie geht es jetzt weiter? Welche Rolle kommt Staatspräs­ident Sergio Mattarella zu?

Es gibt mehrere Szenarien, wie es nun politisch in Italien weitergehe­n könnte. Eines ist aber sonnenklar: Innenminis­ter Salvini hat nicht das Recht oder die Möglichkei­t, Neuwahlen herbeizufü­hren. Mehr als dies zu fordern, kann er nicht. Darüber, wie nun eine neue Regierung gefunden wird, entscheide­t am Ende Staatspräs­ident Sergio Mattarella. Wird Premiermin­ister Giuseppe Conte in einer Parlaments­sitzung das Vertrauen entzogen, könnte Mattarella zunächst eine Person – entweder Conte, einen der Parlaments­präsidente­n oder jemanden von außen – damit beauftrage­n, im Parlament auszuloten, ob neue Mehrheiten zustande kommen könnten.

Rein rechnerisc­h wäre beispielsw­eise eine Koalition zwischen dem sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o und der Fünf-Sterne-Bewegung denkbar. Eine weitere Möglichkei­t wäre, dass Mattarella eine sogenannte Technikerr­egierung einsetzt. Kommen keine neuen Mehrheiten zu Stande, kann der Staatspräs­ident Neuwahlen anberaumen.

4 Sollte es tatsächlic­h zu Neuwahlen kommen: Wann könnte gewählt werden?

Kommende Woche ist in Italien einer der höchsten Feiertage: Ferragosto (der Tag von Mariä Himmelfahr­t). Um diese Zeit befindet sich eigentlich das ganze Land – samt den meisten Abgeordnet­en – in den Ferien. Premier Conte kündigte an, die Parlaments­präsidente­n zu kontaktier­en, damit diese die Kammern einberufen, um sich der Vertrauens­frage zu stellen. Wird dem Ministerpr­äsidenten noch vor dem Feiertag am 15. August das Misstrauen ausgesproc­hen, könnte am 20. Oktober gewählt werden. Wahrschein­licher ist jedoch, dass das Parlament erst an einem Tag nach Ferragosto zusammenko­mmt. Dann könnte im Fall von Neuwahlen am 27. Oktober gewählt werden.

5 Wie stehen die Chancen für Matteo Salvini, Ministerpr­äsident Italiens zu werden?

Noch nie waren die Umfragewer­te für die Lega von Matteo Salvini so hoch wie in diesen Tagen. Zurzeit liegen sie für die Partei bei 34 bis 38 Prozent. Würde Salvini bei Neuwahlen ähnliche Werte einfahren, brauchte er allerdings immer noch einen Koalitions­partner. Die extrem rechte Kleinparte­i Fratelli d’Italia stünde wahrschein­lich bereit – sie kommt derzeit in Umfragen auf rund sechs Prozent.

6 Was bedeutet die Regierungs­krise in Italien für Europa?

Die Regierungs­krise in Italien kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Nach der Sommerpaus­e muss die Regierung in Rom eigentlich den Haushalt für das kommende Jahr zusammenst­ellen. Das ist ohnehin jedes Jahr ein heikler Punkt, da der Entwurf bis zum 15. Oktober in Brüssel eingereich­t und von der EUKommissi­on abgesegnet werden muss. Im vergangene­n Winter und Frühjahr konnte ein Defizitver­fahren gegen Italiens Ausgabenpl­äne gerade noch abgewendet werden. Auch die designiert­e EU-Kommission­spräsident­in, Ursula von der Leyen, könnte es nach einer Regierungs­übernahme Salvinis schwerer haben: Die EU-Abgeordnet­en der Lega haben bei der Abstimmung im Europaparl­ament gegen die Deutsche gestimmt. Als Ministerpr­äsident könnte Salvini außerdem beim Thema Migration seinen harten Kurs nun auch direkt an den Verhandlun­gstisch mit den Staatsund Regierungs­chefs tragen.

7 Was wird nun aus der Fünf-Sterne-Bewegung?

Die Fünf-Sterne-Bewegung befindet sich in einer verzwickte­n Lage: Die momentan stärkste Partei im Parlament könnte im Fall von Neuwahlen in die Bedeutungs­losigkeit verschwind­en. Vor allem der Nochpartei­chef Luigi Di Maio hat in den vergangene­n Wochen und Monaten immer mehr Gegenwind abbekommen – nicht nur von Koalitions­partner Salvini, sondern zunehmend auch aus den eigenen Reihen.

Die nun ausgebroch­ene Regierungs­krise könnte das endgültige Ende der politische­n Karriere des 33-Jährigen bedeuten. Denn in der Bewegung gibt es noch immer die Regelung, dass Abgeordnet­e nur für zwei Amtszeiten gewählt werden dürfen – um ein Kleben am Abgeordnet­ensessel zu verhindern. Wird diese interne Abmachung nicht noch geändert, dürfte Di Maio bei Neuwahlen nicht mehr für die FünfSterne-Bewegung kandidiere­n.

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[ Imago Images/Independen­t Photo] Italiens Vizepremie­r, Matteo Salvini, hat schon seit Längerem nur noch auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um Neuwahlen vom Zaun zu brechen.

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