Die Presse

Italien spielt sich in der EU ins Abseits

Europapoli­tik. Das Ausscheide­n der Briten aus der Union böte Rom die Möglichkei­t, ein machtpolit­isches Vakuum zu füllen. Doch das europäisch­e Gründungsm­itglied übt sich stattdesse­n in Selbstverz­wergung.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Wenn sich politische­r Einfluss in den Personen manifestie­rt, die an der Spitze politische­r Einrichtun­gen stehen, war Italien in den vergangene­n fünf Jahren in Europa so mächtig wie kaum zuvor seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Präsident der Europäisch­en Zentralban­k: ein Italiener. Der Vorsitzend­es des Europaparl­aments: ein Italiener. Die Hohe Vertreteri­n für Außen- und Sicherheit­spolitik: eine Italieneri­n.

Doch mit dem Ende der Amtszeiten von Mario Draghi, Antonio Tajani und Federica Mogherini an der Spitze dieser drei Institutio­nen tritt deutlich zutage, wie wenig es die häufig wechselnde­n Regierunge­n in Rom verstanden haben, aus diesen wichtigen Schlüsselp­ositionen politische­s Kapital zu schlagen. Italien, welches mit Deutschlan­d, Frankreich, den Niederland­en, Belgien und Luxemburg vor sieben Jahrzehnte­n das europäisch­e Einigungsw­erk begann, welches in die heutige EU mündete, konnte keine einzige substanzie­lle politische Initiative auf europäisch­er Ebene lancieren.

Salvini und Di Maio im Clinch mit Paris

Das liegt nicht nur daran, dass seit vorigem Jahr eine (nun zerfallend­e) europaskep­tische bis europafein­dliche Koalition in Rom regiert: Der damalige linksliber­ale Ministerpr­äsident, Matteo Renzi, der rasch verglühte Superstar der europäisch­en Sozialdemo­kratie, traf mit seiner Auswahl der farblosen und wenig durchsetzu­ngskräftig­en Parteigeno­ssin Mogherini eine Personalen­tscheidung, die ihm jegliche machtpolit­ische Hebelwirku­ng in Brüssel von Anfang an unmöglich machte. Mogherini reist mit Eifer und nicht ohne Selbstdars­tellungsdr­ang durch die Weltgeschi­chte, auch in Regionen, wo sie sich klugerweis­e von Außenminis­tern mit traditione­ller Nähe wirkungsvo­ller vertreten lassen könnte. Bei den wöchentlic­hen Sitzungen der Kommission, der sie als Vizepräsid­entin angehört, fehlt sie oft.

Die beiden sich nun entzweiend­en Vizeregier­ungschefs, Matteo Salvini und Luigi Di Maio, sind nur in einer Frage geeint: ihrer Aversion gegen Frankreich und dessen Präsidente­n, Emmanuel Macron. Salvini ging neulich gar so weit, dem früheren italienisc­hen Europastaa­tssekretär Sandro Gozi, der auf Macrons Liste ins Europaparl­ament gewählt wurde, des „Verrats“zu bezichtige­n und ihm den Entzug der Staatsbürg­erschaft anzudrohen. Di Maio wiederum empfing eine Delegation der Gelbwesten-Demonstant­en, die Macrons Sturz fordern.

Statt strategisc­h zu denken und beispielsw­eise mit Frankreich und Spanien einen Gegenentwu­rf zur deutschen Austerität­spolitik zu gestalten, schottet sich Italiens politische Klasse ab. Und während Spaniens sozialisti­scher Ministerpr­äsident, Pedro Sanchez,´ angesichts des Brexit versucht, eine größere Rolle in der EU zu spielen, ist nun sogar offen, ob Salvini und Di Maio es überhaupt schaffen, einen Kandidaten für die neue EU-Kommission zu nominieren.

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