Die Presse

„Capitano“Matteo Salvini zuerst

Italien. Vizepremie­r Salvini zieht umjubelt von einem Strandbad zum nächsten. Der sommerlich­e Zwischenwa­hlkampf war offenbar von langer Hand geplant.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUT SIEFERT

Termoli/Rom. Unter „Bravo“-Rufen bahnt sich Matteo Salvini seinen Weg durch den kleinen Strandort Termoli. Die Gemeinde am adriatisch­en Meer ist eine Etappe auf seiner Tour, die der Noch-Innenminis­ter von Italien derzeit durch die Strandorte des Landes macht. Das Strandbad Cala Sveva, das Ziel Salvinis für diesen Freitagmit­tag, platzt aus allen Nähten, genauso wie auch der 33.000-Einwohner-Ort. Salvini genießt das Bad in der Menge. Er schüttelt Hände, verteilt Küsse und Umarmungen und schlägt immer wieder in die hochgereck­ten Hände seiner Anhänger ein. Die Menschen skandieren: „Ma-tte-o, Ma-tte-o“. Unzählige Selfies werden gemacht. Jeder will ihn einmal anfassen, ihm zurufen, ein Teil der Bewegung sein. Dem Hardliner nahe sein, der mit seiner knallharte­n Migrations­politik so viele Italiener auf seine Seite ziehen konnte.

Der Chef der rechten Lega wirkt entschloss­en, kämpferisc­h, aber gleichzeit­ig auch müde und erschöpft. Wenige Stunden vor seinem Auftritt in Termoli steht Matteo Salvini auf der großen Bühne. Nahezu in derselben Sekunde, in der in Rom der parteilose Premiermin­ister, Giuseppe Conte, vor die Kameras tritt, um eine Erklärung über die Regierungs­krise abzugeben, lauscht Salvini im weißen Hemd, die Ärmel hochgekrem­pelt, andächtig den Klängen, die in letzter Zeit immer die öffentlich­en Auftritte des 46-Jährigen ankündigte­n: „Vincero!“` „Ich werde siegen“, dröhnt es über den Platz und die Köpfe der Anhänger hinweg. Die pathetisch­en Klänge der Arie „Nessun dorma“aus der Oper „Turandot“von Giacomo Puccini sind quasi Programm – Salvini will an die Macht. Nun auch offiziell.

Koalitions­unfall auf Schnellbah­ntrasse

Am Donnerstag war er es, der die Regierungs­koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung für beendet erklärt und damit Italien in eine politische Krise gestürzt hat. Der Anlass: die Abstimmung der Fünf-Sterne-Bewegung gegen ein von der Lega unterstütz­tes Bahnprojek­t, die Schnellbah­ntrasse zwischen Lyon und Turin. Unter diesen Voraussetz­ungen sehe er für das Bündnis keine Zukunft mehr, wütete Salvini über die sozialen Medien.

Schon lang herrscht in der Koalition, die seit Juni vergangene­n Jahres Italien regiert, eine eisige Stimmung. Streit gab es unter anderem über die Einführung eines Mindestloh­ns, Steuersenk­ungen oder die Autonomie für einige Regionen. Doch bisher schafften es die beiden Vizepremie­rs, Salvini und Luigi Di Maio, der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, diese Konflikte nicht eskalieren zu lassen. Immer wieder betonten beide Seiten, an dem Bündnis festhalten zu wollen, gemeinsam die gesamte Wahlperiod­e über zu regieren. In den italienisc­hen Medien gab es allerdings schon lang Spekulatio­nen, dass Salvini den Bruch mit dem Koalitions­partner plane. Die Pose als Hardliner in Sachen Migration brachte dem Innenminis­ter immer höhere Beliebthei­t ein.

Doch der „Capitano“, wie ihn seine Anhänger bewundernd nennen, hat bisher stets betont, er strebe das Ministerpr­äsidentena­mt nicht an, sondern wolle nur das Beste für das Land, für die Italiener: „Prima gli Italiani“, die Italiener zuerst, so sein an Donald Trump angelehnte­r Wahlspruch, den er in jeder seiner fast täglichen Liveschalt­ungen auf Facebook unterbring­t. Mehr als drei Millionen Menschen folgen Salvini in dem sozialen Netzwerk.

Ein riskanter Schachzug

Aus „Prima gli Italiani“scheint nun aber doch ein „Prima Matteo“geworden zu sein. Noch nie waren die Umfragewer­te für die Lega von Salvini so hoch wie in diesen Tagen. Je nach Umfrageins­titut liegt die rechte Partei zwischen 34 und 38 Prozent. Nach Neuwahlen wäre Salvini nicht mehr Juniorpart­ner wie jetzt, allerdings nach wie vor auf einen Koalitions­partner angewiesen.

Der Schuss könnte auch nach hinten losgehen. Sollten die Abgeordnet­en in einer nun anzuberaum­enden Sondersitz­ung des Parlaments Premiermin­ister Conte das Vertrauen entziehen und träte dieser daraufhin zurück, richteten sich alle Blicke auf Staatspräs­ident Sergio Mattarella. Er muss nicht unbedingt Neuwahlen ausrufen, er könnte auch jemanden dazu beauftrage­n, im Parlament nach alternativ­en Mehrheiten Ausschau zu halten. Rein rechnerisc­h wäre eine Koalition zwischen dem sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o (PD) und der Fünf-Sterne-Bewegung möglich.

Des Risikos, das er nun eingegange­n ist, ist sich Salvini durchaus bewusst. „Ich höre, dass ähnliche Töne vonseiten des PD und der Fünf-Sterne-Bewegung kom

men, von Matteo Renzi und von Luigi Di Maio“, sagte Noch-Innenminis­ter Salvini am Freitag in Termoli. Er hoffe doch sehr, dass niemand auch nur daran denke, die Italiener für dumm zu verkaufen und eine Regierung zu kreieren, „die für die Demokratie vollkommen inakzeptab­el wäre. Nach dem Ende dieser Regierung gibt es nur eine Lösung: Neuwahlen.“

In seiner kurzen Ansprache am Freitagmit­tag lobt Salvini aber auch die Arbeit der Regierungs­koalition. Er habe sich nie auf das Niveau begeben, auf die Beleidigun­gen, die er auch aus den Reihen des Koalitions­partners über sich habe ergehen lassen müssen, zu reagieren.

„Aber bei jedem Paar, bei jeder Vereinigun­g kommt eben der Moment, an dem man feststelle­n muss, dass man mehr Zeit mit Streiten verbringt, als mit anderen Dingen.“Und dann sei es nun einmal besser, die Sache in gegenseiti­gem Respekt zu beenden. Vor wenigen Tagen hat Salvini bereits angedeutet, sich mit Scheidunge­n ja auszukenne­n: Der Vater von zwei Kindern war immerhin schon einmal verheirate­t.

Die Töne sind aber auch vonseiten Salvinis in den vergangene­n Wochen immer rauer geworden. Der Fünf-Sterne-Bewegung warf er immer wieder vor, Neinsager zu sein und die Arbeit der Regierung unnötig zu blockieren. Was nun wiederum Ministerpr­äsident Conte auf die Palme brachte. „Ich werde nicht weiter zulassen, dass das Narrativ einer Regierung, die nicht arbeitet, einer Regierung der Neinsager, weiter genährt wird“, so der Rechtsprof­essor am Donnerstag. „In Wirklichke­it hat diese Regierung immer wenig gesprochen und viel gearbeitet. Diese Regierung war nicht am Strand.“

Seitenhieb von Conte

Ein unmissvers­tändlicher Seitenhieb auf den Mann, der nun das Ende des Regierungs­experiment­s zu verantwort­en hat. Salvinis Tour, die von Anfang an den Anschein eines vorgezogen­en Wahlkampfs in sich trug, bei der er sich während der Sommerferi­en an den Stränden zwischen Cocktails und Musik feiern lässt, wird an diesem Wochenende mit vermutlich noch mehr Verve fortgesetz­t. Am Freitagabe­nd wollte er noch in Polignano al Mare auftreten, am Wochenende will er sich dann auf Sizilien bejubeln lassen.

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Die volksnahe Pose am Strand liebt Lega-Chef Matteo Salvini besonders. Eine wachsende Anzahl der Italiener läss auf diese Weise unterhalte­n.
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[ Stefano Cavicchi/Zuma/picturedes­k.com ]
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