Die Presse

Leitartike­l von Wieland Schneider

Gerade jetzt kann sich Italien eine Dauerkrise nicht leisten. Das verschulde­te Land braucht rasch eine stabile Regierung – die für stabile Finanzen sorgt.

- VON WIELAND SCHNEIDER Mehr zum thema: Seiten 1–3 E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

E s war von Anfang an ein seltsames Gespann: hier die Protestbew­egung, die sich linke soziale Ideen, lokale Bürgeranli­egen und Radikalopp­osition auf die Fahnen geheftet hat und später vom Komiker Beppe Grillo mithilfe eines IT-Unternehme­rs zu einer Art gemeinsame­n Organisati­on geformt worden ist. Dort die straff geführte Partei des Rechtspopu­listen Matteo Salvini, der seine Lega sukzessive aus dem Fahrwasser des norditalie­nischen Sezessioni­smus gelenkt hat, um stattdesse­n in ganz Italien mit harscher Antimigrat­ionsrhetor­ik zu punkten.

Verbunden hat die Protestbew­egung der Fünf Sterne und die Lega zuletzt noch eine gewisse Grundabnei­gung gegenüber den EU-Institutio­nen in Brüssel – und der Wunsch, über die gemeinsame Regierungs­koalition an Italiens Schalthebe­ln der Macht zu sitzen. Doch damit ist es nun offenbar vorbei. Lega-Chef Salvini will Neuwahlen. Der machiavell­istische Stratege wittert seine Chance, denn die Umfragen für ihn und seine Partei sind besser denn je. Dafür hat er auch mit seinen brachial-populistis­chen Ansagen und Aktionen als Italiens Innenminis­ter gesorgt.

Die Fünf-Sterne-Bewegung hingegen steckt in einer Krise. Eigentlich ist sie ja die stärkere Partei in der Koalition. Bei der letzten Parlaments­wahl 2018 kam sie auf fast 33, die Lega nur auf rund 17 Prozent. Doch mittlerwei­le hat die Bewegung in Italien massiv an Vertrauen eingebüßt.

Einer der einstigen Stars der Fünf Sterne, die römische Bürgermeis­terin, Virginia Raggi, kämpft in der Hauptstadt mit allerlei Problemen. Diese hatten zwar auch die meisten ihrer Vorgänger auf dem Bürgermeis­tersessel. Doch die Fünf Sterne waren immerhin mit dem Anspruch angetreten, alles anders, besser und sauberer zu machen als die alten Parteien.

Der Chef der Bewegung, Luigi Di Maio, verblasste innerhalb der Regierung sehr oft gegenüber dem ruppigen und taktisch versierten Salvini – und zog sich damit auch den Ärger der eigenen Parteigäng­er zu. Den Widerstand gegen die von der Lega befürworte­te Hochgeschw­indigkeits­strecke zwischen Lyon und Turin wollte Di Maio nun nicht mehr aufgeben. Denn das Nein zu dem Bahnprojek­t gehört quasi zum genetische­n Code der Fünf Sterne. Mitbegründ­er Grillo tourte jahrelang landauf, landab, um bei jeder Gelegenhei­t seine tiefe Abneigung gegen den Bau der Zugstrecke zum Besten zu geben. Es sei doch dumm, Italiens Büffelmozz­arella mit mehreren Hundert Sachen durch den Berg in Richtung Frankreich zu jagen, witzelte der Komiker.

Der Antrag der Fünf Sterne, das Bahnprojek­t zu stoppen, war nun ein guter Vorwand für den Chef der Lega, „basta“zu sagen. Zwar hat Salvini gute Karten. Wie das Spiel für ihn tatsächlic­h ausgehen wird, ist aber noch unsicher. Dafür gibt es zu viele Unwägbarke­iten in Italiens politische­r Landschaft, der in der Vergangenh­eit auch fliegende Koalitions­wechsel nicht fremd waren.

Sicher ist aber eines: Eine andauernde Regierungs­krise kann sich das Land derzeit gar nicht leisten. Die Verantwort­lichen in Rom stehen vor einem gewaltigen Aufgabenpe­nsum, das eigentlich rasch abgearbeit­et werden müsste.

Zwar ist Italien weiterhin eine der stärksten Volkswirts­chaften in Europa. Doch das Wachstum ist – bei gleichzeit­iger hoher Verschuldu­ng – niedrig. Mit 2,3 Billionen Euro Staatsschu­lden und einer Schuldenqu­ote von etwa 132 Prozent im Jahr 2018 zählt das Land zu den Sorgenkind­ern in der EU. Die Kommission in Brüssel wartet auf den Budgetentw­urf, den die Regierung in Rom bis 15. Oktober einreichen muss. Ein Defizitver­fahren konnte Italien bisher abwenden. Es wäre das Letzte, was das Land – und Europa – brauchen kann. S tatt diese Probleme anzupacken, wird in Rom eine neue Runde im Machtpoker vorbereite­t. Jetzt wird fieberhaft nach neuen Allianzen gesucht, werden alle möglichen Varianten durchgespi­elt. Salvini wird auf Wahlen drängen. Und auch Ex-Premier Silvio Berlusconi könnte wieder mitmischen. Was Italien benötigt, sind jedenfalls keine Endlosverh­andlungen oder Egotrips von Politikern, sondern eine stabile Regierung – die für stabile Finanzen sorgt.

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