Der jähe Aufstieg der Klimawandelkunst
Im Kunst-Haus Wien thematisiert die österreichische Bildhauerin Claudia Märzendorfer derzeit die Verschmutzung der Weltmeere, als Teil eines ökologischen Schwerpunkts. Der Trend zeigt sich weltweit.
Rekordhitze, Waldbrände, Gletscherschmelze – die Folgen des Klimawandels beherrschen die Medien. Und zunehmend auch die Kunst. Es gibt schon einen eigenen Begriff dafür: Klimawandelkunst. In Helsinki wird der Lehrgang „Ökologie und zeitgenössische Kunst“angeboten. Und die Vereinten Nationen haben auf Instagram den Hashtag Art4Climate eingeführt. Da landen zwar auch Blumenfotos, Produktplatzierungen und Hobbymalerei. Aber vor allem finden sich professionelle Dokumentarfotografien – ein Medium, das in der Klimawandelkunst dominiert.
Auch das Kunst-Haus Wien setzt einen ökologischen Schwerpunkt. Hier zeigte der kanadische Fotograf Edward Burtynsky schon vor zwei Jahren seine bezaubernd schönen Bilder von Orten, deren Gleichgewicht durch menschliche Eingriffe zerstört wurde: ausgetrocknete Flussmündungen, durch Nickelabbau rot gefärbte Flüsse, ölgetränkter Sand. Direktorin Bettina Leidl knüpft an die Utopien von Friedensreich Hundertwasser an, der die ehemalige Thonet-Fabrik umgestaltete und damals eine Dachbegrünung und andere ökologische Maßnahmen initiierte. „Künstler können auf
Fehlentwicklungen aufmerksam machen und den Diskurs anstoßen“, betont Leidl. Hat sich die künstlerische Sprache zu dem Thema in den vergangenen Jahren verändert? „Vor fünf Jahren war es noch exotisch, jetzt hat es sich vervielfacht. Allein auf der Biennale Venedig dieses Jahr sieht man, wie vielseitig sich Künstler damit beschäftigen.“
Tiertod mit Plastik im Bauch
Im Frühjahr zeigten im Kunst-Haus Lena Dobrowolska und Teo Ormond-Skeaping mit ihren Videos und Fotografien Folgen der globalen Erhitzung. Nicht die Verletzlichkeit, sondern die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit der Welt stand dabei im Mittelpunkt. In der aktuellen Ausstellung thematisiert die österreichische Bildhauerin Claudia Märzendorfer die Verschmutzung der Weltmeere: Auf einer schwarzen Fläche strahlen blütenweiße Gipsabgüsse von Plastikflaschen, die wie Eisschollen angeordnet sind. Dazu Hendrik Goltzius’ Stich eines gestrandeten Wals von 1598. Es ist eine Erinnerung an jene im April in Sardinien gestrandete, schwangere Walkuh, die an den Plastikbergen im Bauch starb. War es im 16. Jahrhundert die schiere Dimension des Tieres, die erstaunte, so ist es heute das menschenverursachte Leid, das berührt.
Anders als die Wissenschaft kann die Kunst mit so eindrücklichen Bildern die Menschen emotional bewegen – und im besten Fall den Wunsch auslösen, etwas zu verändern. Darum kooperieren auch immer häufiger Wissenschaftler mit Künstlern. Das Climate Change Center Austria schrieb 2015 den Wettbewerb KlimARS für Kunst, Musik und Darstellende Künste aus. Die Preisträger punkteten mit einem Abwärme-Gewächshaus in Kombination mit lokalen Kühlanlagen, einer Klanginstallation von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“und einer Vertonung von Klimadaten. Seit 2015 lädt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Künstler als Stipendiaten ein, letztes Jahr zeigte Chris Jordan dort seinen Dokumentationsfilm über Tausende Laysanalbatrosse im Nordpazifik, die am Plastik in ihrem Körper verstarben.
Ein Problem der dokumentarischen Klimawandelkunst ist allerdings die Tatsache, dass die Fakten und Zusammenhänge komplexer sind, als es ein Werk jemals zeigen kann – und die Wirklichkeit derart drastisch ist, dass dem kaum etwas hinzuzufügen ist. Die US-Medienwissenschaftlerin Joann Nurmis spricht von einer „Bildsprache der apokalyptischen Erhabenheit“. Viele dieser Werke würden Schwermut und Melancholie angesichts der Tragödien auslösen und zu einer tiefen Hoffnungslosigkeit führen. Damit lösen sie das Gegenteil dessen aus, was erreicht werden soll. Denn solche Klimawandelkunst motiviere zu nichts.
Als Ausweg entscheiden sich einige Künstler für einen künstlerischen Klimawandel-Aktivismus wie Oliver Ressler, der im KHW seine Filme über die Kämpfe gegen den Einsatz und Abbau von fossilem Brennstoff zeigte. Oder sie kooperieren mit Wissenschaftlern wie Katrin Hornek. Im Rahmen der 3. Vienna Biennale zeigt sie gerade in der Kunsthalle Wien „Casting Haze“über einen fiktiven Decarbonization-Wettbewerb.
Und manche Künstler entscheiden sich für eine ästhetische Überhöhung, fügen den betrüblichen Tatsachen eine verführerische Schönheit hinzu, etwa wenn Märzendorfer die abgegossenen Plastikobjekte wie edle Keramiken erscheinen lässt. In einem Essay für den Berliner Tagesspiegel schrieb Olafur Eliasson zusammen mit dem Geologen Minik Rosing, dass Handeln keine Fakten benötige, sondern emotionale Erlebnisse. „Wissen kann uns sagen, wie wir unseren Zielen näherkommen – die Ziele selbst und der Impuls zu handeln jedoch wurzeln in unseren Gefühlen.“