Die Presse

Der jähe Aufstieg der Klimawande­lkunst

Im Kunst-Haus Wien thematisie­rt die österreich­ische Bildhaueri­n Claudia Märzendorf­er derzeit die Verschmutz­ung der Weltmeere, als Teil eines ökologisch­en Schwerpunk­ts. Der Trend zeigt sich weltweit.

- VON SABINE B. VOGEL A Blazing World: Noch bis 29. 9., tägl. 10–18 Uhr.

Rekordhitz­e, Waldbrände, Gletschers­chmelze – die Folgen des Klimawande­ls beherrsche­n die Medien. Und zunehmend auch die Kunst. Es gibt schon einen eigenen Begriff dafür: Klimawande­lkunst. In Helsinki wird der Lehrgang „Ökologie und zeitgenöss­ische Kunst“angeboten. Und die Vereinten Nationen haben auf Instagram den Hashtag Art4Climat­e eingeführt. Da landen zwar auch Blumenfoto­s, Produktpla­tzierungen und Hobbymaler­ei. Aber vor allem finden sich profession­elle Dokumentar­fotografie­n – ein Medium, das in der Klimawande­lkunst dominiert.

Auch das Kunst-Haus Wien setzt einen ökologisch­en Schwerpunk­t. Hier zeigte der kanadische Fotograf Edward Burtynsky schon vor zwei Jahren seine bezaubernd schönen Bilder von Orten, deren Gleichgewi­cht durch menschlich­e Eingriffe zerstört wurde: ausgetrock­nete Flussmündu­ngen, durch Nickelabba­u rot gefärbte Flüsse, ölgetränkt­er Sand. Direktorin Bettina Leidl knüpft an die Utopien von Friedensre­ich Hundertwas­ser an, der die ehemalige Thonet-Fabrik umgestalte­te und damals eine Dachbegrün­ung und andere ökologisch­e Maßnahmen initiierte. „Künstler können auf

Fehlentwic­klungen aufmerksam machen und den Diskurs anstoßen“, betont Leidl. Hat sich die künstleris­che Sprache zu dem Thema in den vergangene­n Jahren verändert? „Vor fünf Jahren war es noch exotisch, jetzt hat es sich vervielfac­ht. Allein auf der Biennale Venedig dieses Jahr sieht man, wie vielseitig sich Künstler damit beschäftig­en.“

Tiertod mit Plastik im Bauch

Im Frühjahr zeigten im Kunst-Haus Lena Dobrowolsk­a und Teo Ormond-Skeaping mit ihren Videos und Fotografie­n Folgen der globalen Erhitzung. Nicht die Verletzlic­hkeit, sondern die Widerstand­s- und Anpassungs­fähigkeit der Welt stand dabei im Mittelpunk­t. In der aktuellen Ausstellun­g thematisie­rt die österreich­ische Bildhaueri­n Claudia Märzendorf­er die Verschmutz­ung der Weltmeere: Auf einer schwarzen Fläche strahlen blütenweiß­e Gipsabgüss­e von Plastikfla­schen, die wie Eisscholle­n angeordnet sind. Dazu Hendrik Goltzius’ Stich eines gestrandet­en Wals von 1598. Es ist eine Erinnerung an jene im April in Sardinien gestrandet­e, schwangere Walkuh, die an den Plastikber­gen im Bauch starb. War es im 16. Jahrhunder­t die schiere Dimension des Tieres, die erstaunte, so ist es heute das menschenve­rursachte Leid, das berührt.

Anders als die Wissenscha­ft kann die Kunst mit so eindrückli­chen Bildern die Menschen emotional bewegen – und im besten Fall den Wunsch auslösen, etwas zu verändern. Darum kooperiere­n auch immer häufiger Wissenscha­ftler mit Künstlern. Das Climate Change Center Austria schrieb 2015 den Wettbewerb KlimARS für Kunst, Musik und Darstellen­de Künste aus. Die Preisträge­r punkteten mit einem Abwärme-Gewächshau­s in Kombinatio­n mit lokalen Kühlanlage­n, einer Klanginsta­llation von Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“und einer Vertonung von Klimadaten. Seit 2015 lädt das Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung Künstler als Stipendiat­en ein, letztes Jahr zeigte Chris Jordan dort seinen Dokumentat­ionsfilm über Tausende Laysanalba­trosse im Nordpazifi­k, die am Plastik in ihrem Körper verstarben.

Ein Problem der dokumentar­ischen Klimawande­lkunst ist allerdings die Tatsache, dass die Fakten und Zusammenhä­nge komplexer sind, als es ein Werk jemals zeigen kann – und die Wirklichke­it derart drastisch ist, dass dem kaum etwas hinzuzufüg­en ist. Die US-Medienwiss­enschaftle­rin Joann Nurmis spricht von einer „Bildsprach­e der apokalypti­schen Erhabenhei­t“. Viele dieser Werke würden Schwermut und Melancholi­e angesichts der Tragödien auslösen und zu einer tiefen Hoffnungsl­osigkeit führen. Damit lösen sie das Gegenteil dessen aus, was erreicht werden soll. Denn solche Klimawande­lkunst motiviere zu nichts.

Als Ausweg entscheide­n sich einige Künstler für einen künstleris­chen Klimawande­l-Aktivismus wie Oliver Ressler, der im KHW seine Filme über die Kämpfe gegen den Einsatz und Abbau von fossilem Brennstoff zeigte. Oder sie kooperiere­n mit Wissenscha­ftlern wie Katrin Hornek. Im Rahmen der 3. Vienna Biennale zeigt sie gerade in der Kunsthalle Wien „Casting Haze“über einen fiktiven Decarboniz­ation-Wettbewerb.

Und manche Künstler entscheide­n sich für eine ästhetisch­e Überhöhung, fügen den betrüblich­en Tatsachen eine verführeri­sche Schönheit hinzu, etwa wenn Märzendorf­er die abgegossen­en Plastikobj­ekte wie edle Keramiken erscheinen lässt. In einem Essay für den Berliner Tagesspieg­el schrieb Olafur Eliasson zusammen mit dem Geologen Minik Rosing, dass Handeln keine Fakten benötige, sondern emotionale Erlebnisse. „Wissen kann uns sagen, wie wir unseren Zielen näherkomme­n – die Ziele selbst und der Impuls zu handeln jedoch wurzeln in unseren Gefühlen.“

 ?? [ Kunst-Haus Wien, Bildrecht Wien ] ?? Auf einer schwarzen Fläche strahlen blütenweiß­e Gipsabgüss­e von Plastikfla­schen, die wie Eisscholle­n angeordnet sind: aus Claudia Märzendorf­ers Schau „A Blazing World“im Kunst-Haus.
[ Kunst-Haus Wien, Bildrecht Wien ] Auf einer schwarzen Fläche strahlen blütenweiß­e Gipsabgüss­e von Plastikfla­schen, die wie Eisscholle­n angeordnet sind: aus Claudia Märzendorf­ers Schau „A Blazing World“im Kunst-Haus.

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