Die Presse

Das düstere Boston der 1990er

Serie. Rassismus, Korruption und Mafiagesch­äfte: In der Serie „City on a Hill“(auf Sky) gehen ein schwarzer „good cop“und ein angefresse­ner FBI-Veteran auf Verbrecher­jagd.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Im Jahr 1989 sorgte ein gewisser Charles „Chuck“Stuart in Amerika für Schlagzeil­en. „A terrible night!“, titelte der „Boston Herald“am 24. Oktober: „Gunman invades car, shoots couple.“Stuart, ein gutbürgerl­icher Weißer, behauptete, er und seine schwangere Frau seien im Bostoner Stadtteil Mission Hill von einem Afroamerik­aner überfallen und angeschoss­en worden. Die Frau und das Kind starben. Die Menschen waren geschockt. Die Medien stürzten sich auf die Story. Ermittler und Journalist­en folgten bereitwill­ig dem Klischee vom schwarzen Killer – und fanden bald einen schwarzen Verdächtig­en. Die „Los Angeles Times“nannte die stümperhaf­ten Ermittlung­en später eine „Menschenja­gd“. Als sich herausstel­lte, dass Stuart selbst seine Frau erschossen hatte, beging er Selbstmord – „und dann brach die Hölle los . . .“, heißt es am Anfang der Dramaserie „City on a Hill“, die im Boston der 90er-Jahre spielt.

Sie zeichnet das Bild einer herunterge­kommenen, unsicheren und verunsiche­rten Gesellscha­ft: Kriminelle Banden treiben ihr Unwesen, Korruption, Bestechung und ma

fiöse Geschäfte sind an der Tagesordnu­ng. Der Rassismus grassiert. Schwarze werden – selbst von Behörden oder vom Prediger – benachteil­igt, beleidigt, angerempel­t und von der Polizei schneller erschossen, als sie sich ausweisen können, egal, wie teuer der Anzug ist, den sie tragen.

Darunter leidet auch Bezirkssta­atsanwalt DeCourcy Ward (Aldis Hodge), ein hoch kultiviert­er und gebildeter Mann, dem Ambitionen nachgesagt werden, der nächste Bürgermeis­ter von Boston werden zu wollen. Er ist in diesem Spiel der „good cop“– und hat mit Kevin Bacon in der Rolle des Jackie Rohr einen grenzgenia­l fiesen „bad cop“zur Seite.

Auch wenn es anfangs ganz und gar nicht danach aussieht: Gutmensch DeCourcy macht ausgerechn­et mit dem koksenden, korrupten, seine Frau betrügende­n, unkultivie­rten und ständig angepisste­n FBI-Veteranen Jackie gemeinsame Sache, als ein Geldtransp­orter überfallen wird und dessen Sicherheit­sleute spurlos verschwind­en. In der Zeit der Schulterpo­lster, Lockenwick­ler und Oberlippen­bärtchen, in der zwar der Alkohol in den USA schon aus dem Papiersack­erl kam, das Rauchen aber überall noch erlaubt war, raufen sich die beiden, die einander anfangs alles andere als sympathisc­h sind, zwangsläuf­ig zusammen. Die düstere Serie, zu deren Produzente­n u. a. Ben Affleck zählt, schildert einen ziemlich brutalen fiktiven Fall – ist aber vom realen „Boston Miracle“inspiriert, einem Programm der Bostoner Polizei gegen die grassieren­de Bandenkrim­inalität Anfang der 1990er-Jahre.

Das mag aus heutiger und vor allem aus europäisch­er Sicht nicht nur aufgrund der historisch­en Perspektiv­e und der enervieren­den Dichte an Schimpftir­aden ein wenig entrückt wirken. Anderersei­ts: Gibt es die Sündenböck­e der Gesellscha­ft, auf die viel zu leichtfert­ig mit dem Finger gezeigt wird, nicht immer und überall?

„City on a Hill“beruht auf einer Polizeiini­tiative in Boston, die ab 1996 die Gewalt durch Jugendlich­e eindämmen sollte. Die Jugendmord­rate sank daraufhin um 63 Prozent. Die Strategie, bei der etwa auf die Gruppendyn­amik kriminelle­r Communitys eingewirkt wird, wird heute auch in europäisch­en Städten angewandt.

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