Die Presse

Kein Genierer, viel Provokatio­n: Der „Einzelfall“FPÖ-Bericht

Entweder die FPÖ fürchtet sich vor etwas oder wollte gar keine politische Bewertung der braunen Flecken. Das Resultat ist vorsätzlic­he Augenauswi­scherei.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. diepresse. com/rohrer

Die Berichters­tattung über den Bericht der Irgendwask­ommission der FPÖ sollte bis zur Veröffentl­ichung der gesamten 1000 Seiten, genehmigt oder nicht, eingestell­t werden. Nach der Augenauswi­schaktion von Dienstag fällt es schwer, sich zu entscheide­n: Wovor fürchtet sich die FPÖ? Ist das Ergebnis nach eineinhalb Jahren und mehrmalige­n Verschiebu­ngen Unfähigkei­t oder Schamlosig­keit geschuldet? Für wie blöd halten Wilhelm Brauneder & Co. die Menschen eigentlich?

Von all diesen Fragen ausgenomme­n ist der ehemalige Wiener Stadtschul­rat, Vorsitzend­er des Zukunftsfo­nds der Republik Österreich und ehemaliger Sonderbeau­ftragter der Stadt Wien für Restitutio­nsfragen, Kurt Scholz. Seine Mitarbeit war sicher gut gemeint, wenn auch vielleicht naiv. Er hat nach eigenen Angaben im Vorjahr einen 16-Seiten-Text abgeliefer­t und war seither in nichts mehr eingebunde­n. (Siehe seinen Text rechts, Anmerkung der Redaktion.)

Die Einsetzung der Irgendwask­ommission im Vorjahr war eine politische Entscheidu­ng, um die Schande des Liederbuch­s der Burschensc­haft Germania in Niederöste­rreich zu neutralisi­eren. Daher sollte das Ergebnis auch politisch zu beurteilen sein. Die Kritik, es fehle an Wissenscha­ftlichkeit, ist völlig überflüssi­g. Wissenscha­ftlich ist die Vergangenh­eit der Partei eingehend durchleuch­tet. Die 1100 Seiten sind wissenscha­ftlich überflüssi­g und, wie es aussieht, politisch unbrauchba­r.

Wenn sich die Neigungsgr­uppe „Freiheitli­che Verschleie­rung“jetzt noch vor einer Veröffentl­ichung vor der Wahl mit dem Argument drückt, man suche erst ein Gütesiegel oder – besser: einen Persilsche­in – in Israel, dann handelt es sich dabei um Chuzpe erster Ordnung. Der deutsche Begriff ihrer Wahl kann sein: Unverfrore­nheit. Dreistigke­it, Anmaßung, Frechheit, Unverschäm­theit.

Grandios, wenn ein israelisch­er Wissenscha­ftler den Bericht dahingehen­d korrigiere­n wird, dass die erste Regierungs­beteiligun­g der FPÖ, jene mit der SPÖ, nicht von 1980 bis 1983 stattgefun

den hat (Seite 12), sondern von 1983 bis 1987. Solche Fehler machen jedes Wort zur Wissenscha­ftlichkeit überflüssi­g.

Eine politische Schlussfol­gerung gab es allerdings schon. Brauneder nannte die FPÖ „eine Partei wie nahezu jede andere“. Sehr nahe kann sie jedoch nicht sein, denn keine andere Partei ist bisher so fulminant in Regierungs­ämtern gescheiter­t, hat drei Mal den Abbruch einer Legislatur­periode zu verantwort­en gehabt, was das Land in keiner Weise weitergebr­acht hat: zweimal aus internen Machtkämpf­en, die mit Sachpoliti­k nichts zu tun hatten, einmal aus Korruption­sverdacht und Dummheit – detto.

In welcher Welt leben Brauneder oder der freiheitli­che Mann für alles (und jedes FPÖ-Regime), Andreas Mölzer, also, wenn sie die Partei „nahezu“gleich mit allen anderen sehen: Gut, SPÖ und ÖVP hatten ihre eigenen braunen Schatten in der Vergangenh­eit, aber bis in die Gegenwart reichen diese nicht. Sollte die Irgendwask­ommission anderes behaupten, das diese zwei Parteien in die Nähe der FPÖ mit all ihren „Einzelfäll­en“rücken könnte, müsste sie Beweise vorlegen. Von Grünen und Neos ganz zu schweigen. Die sind ja auch „andere Parteien“.

Es ist die Aufregung bis auf Weiteres nicht wert. Schon gar nicht so läppische Einwände wie: Unter den 16 Autoren sei keine einzige Frau zu finden. Derartige Hinweise verniedlic­hen nur das Ausmaß der Provokatio­n, das sich die FPÖ mit diesen Historiker­n leistet. Man kann sie getrost in die lange Liste der „Einzelfäll­e“einreihen. Die bisherigen dienten ja auch alle ganz offensicht­lich dazu auszuteste­n, was sich die Öffentlich­keit und der Koalitions­partner ÖVP noch alles bieten lassen.

Eines aber muss man den Freiheitli­chen lassen: Wieder lenken sie geschickt vom Strache-Video und rechtem Treiben ab. Dem sollte man mit einem Nicht-einmal-Ignorieren und dem Augenmerk auf politische Inhalte jetzt (!) begegnen.

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VON ANNELIESE ROHRER

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