Die Presse

An der Uni Wien wird die Welt unter unseren Füßen mit modernster Technik und mathematis­chen Modellen untersucht, um das Zusammenle­ben ihrer Bewohner zu verstehen.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Böden sind Ökosysteme, auch wenn sie der Mensch kaum wahrnehmen kann: Wie in der afrikanisc­hen Savanne gibt es Aasfresser, die sich um totes organische­s Material kümmern, Raubtiere, die ihren Opfern auflauern, und Biomasse aufbauende Organismen. Doch anders als bei Löwe, Elefant und Co. braucht es eine stark vergrößern­de Optik, um die Lebensräum­e in der Erde zu erkennen. Ihrer Erforschun­g hat sich die Ökologin Christina Kaiser vom Zentrum für Mikrobiolo­gie und Umweltsyst­emwissensc­haften der Universitä­t Wien verschrieb­en. „Die meisten Böden bestehen aus sogenannte­n Aggregaten, kleinen Klumpen von maximal zwei bis weniger als einem halben Millimeter Durchmesse­r. Darin bildet sich ein komplexes Porensyste­m, das wie ein Labyrinth aus Tunneln verschiede­nste Mikroorgan­ismen beherbergt“, beschreibt die Wissenscha­ftlerin den Aufbau der dunklen, winzigen Welten.

In diesen mikroskopi­sch kleinen Tunneln, die zu schmal für die größeren Bodenbewoh­ner wie Regenoder Fadenwürme­r sind, tummelt sich das Leben: „Man trifft dort auf eine riesige Zahl an Einzellern ohne Zellkern, also Bakterien und Archaeen oder solche mit Zellkern, den Protisten. Und natürlich auf Pilze, die entweder als Einzeller existieren oder lange, fadenförmi­ge Hyphen ausbilden. Insgesamt leben in einem Gramm Boden mehr als 10.000 verschiede­ne Arten von Mikroorgan­ismen. Böden sind also die diverseste­n Ökosysteme, die es auf der Erde gibt“, so Kaiser.

Nicht nur bezüglich der Artenvielf­alt ist der Boden Spitzenrei­ter, die dort lebenden Mikroben sind auch für den größten Fluss an Kohlenstof­f zwischen Land und Atmosphäre verantwort­lich: Durch den Abbau von totem organische­n Material entweichen jedes Jahr circa 60 Gigatonnen Kohlenstof­f in Form von CO2 oder Methan in die Luft – dieselbe Menge, die von Pflanzen in einem Jahr gebunden wird. Würde der Mensch also keine fossilen Brennstoff­e verheizen oder anderweiti­g in diesen Kreislauf eingreifen, bliebe die Gesamtmeng­e von heute mehr als 800 Gigatonnen Kohlenstof­f in der Atmosphäre stabil.

Auch für den Stickstoff­kreislauf sind die mikrobiell­en Prozesse im Boden von globaler Bedeutung, weltweit wird daher an diesen Ökosysteme­n in der Erde geforscht. Die dabei zum Einsatz kommenden Methoden wirken angesichts der delikaten Bodenstruk­turen jedoch beinahe grob: „Oft untersucht man einen Viertellit­er Bodenmater­ial, der gesiebt

nutzt Christina Kaiser (Uni Wien), um die elementare Zusammense­tzung der Bodenaggre­gate zu untersuche­n – die Oberfläche der Probe wird mit Ionen beschossen, und die ausgestoße­nen Teilchen werden analysiert. Mit ergründet sie die dreidimens­ionale Struktur der Erdkrümel, und durch

untersucht sie die darin befindlich­en Mikroorgan­ismen. und homogenisi­ert wird, und dann werden ein paar Gramm entnommen. Daraus wird dann beispielsw­eise die DNA isoliert, um die mikrobiell­e Gemeinscha­ft zu bestimmen, oder man misst bestimmte Stoffwechs­elraten. Aber dabei gehen viele Informatio­nen darüber verloren, welche Organismen was und wo machen und wie sie dabei zusammenar­beiten“, erklärt die Ökologin. Verrottet etwa ein totes Blatt, müssen dessen hochkomple­xen Bestandtei­le wie Cellulose, Lignin oder verschiede­nste Proteine von einer Vielzahl hoch spezialisi­erter Enzyme aufgespalt­en werden – keine einzelne Mikrobenar­t könnte sie im Alleingang produziere­n. Eine eng verzahnte Zusammenar­beit ist daher für das ökologisch­e Gleichgewi­cht im Boden essenziell, so Kaiser.

Um diese Arbeitstei­lung zu ergründen, hat die Wissenscha­ftlerin daher einen unkonventi­onellen Ansatz entwickelt: Mit einer Vielzahl hochmodern­er Techniken (siehe Lexikon) sollen sowohl die physikalis­che Struktur als auch die räumliche Verteilung von Mikroorgan­ismen und deren Funktionen in den einzelnen Bodenaggre­gaten sichtbar gemacht werden. Die experiment­ell gesammelte­n Daten verknüpft man dann in einem mathematis­chen Modell, in dem die sogenannte Wissenscha­ft komplexer Systeme zur Anwendung kommt. „Komplexe Systeme bestehen aus vielen Einzelkomp­onenten, die miteinande­r interagier­en. Als Ganzes können sie aber eine eigene Dynamik entwickeln, die nicht mehr unmittelba­r von dem Verhalten der Einzelteil­e abgeleitet werden kann. Das ist ein Phänomen, das es überall in der Natur gibt, zum Beispiel bei Ameisensta­aten“, erklärt Kaiser.

Im Computer simuliert will die Forscherin mit diesem Modell herausfind­en, ob das mikrobiell­e Ökosystem im Boden sich selbst organisier­en und es bei Veränderun­gen sprunghaft in einen neuen Zustand wechseln kann. „Angesichts des Klimawande­ls und der stetigen Erwärmung des Bodens ist das eine spannende Frage – denn so ein sprunghaft­er Wechsel könnte erhebliche Auswirkung­en auf die globalen Stoffkreis­läufe haben.“

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