An der Uni Wien wird die Welt unter unseren Füßen mit modernster Technik und mathematischen Modellen untersucht, um das Zusammenleben ihrer Bewohner zu verstehen.
Böden sind Ökosysteme, auch wenn sie der Mensch kaum wahrnehmen kann: Wie in der afrikanischen Savanne gibt es Aasfresser, die sich um totes organisches Material kümmern, Raubtiere, die ihren Opfern auflauern, und Biomasse aufbauende Organismen. Doch anders als bei Löwe, Elefant und Co. braucht es eine stark vergrößernde Optik, um die Lebensräume in der Erde zu erkennen. Ihrer Erforschung hat sich die Ökologin Christina Kaiser vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften der Universität Wien verschrieben. „Die meisten Böden bestehen aus sogenannten Aggregaten, kleinen Klumpen von maximal zwei bis weniger als einem halben Millimeter Durchmesser. Darin bildet sich ein komplexes Porensystem, das wie ein Labyrinth aus Tunneln verschiedenste Mikroorganismen beherbergt“, beschreibt die Wissenschaftlerin den Aufbau der dunklen, winzigen Welten.
In diesen mikroskopisch kleinen Tunneln, die zu schmal für die größeren Bodenbewohner wie Regenoder Fadenwürmer sind, tummelt sich das Leben: „Man trifft dort auf eine riesige Zahl an Einzellern ohne Zellkern, also Bakterien und Archaeen oder solche mit Zellkern, den Protisten. Und natürlich auf Pilze, die entweder als Einzeller existieren oder lange, fadenförmige Hyphen ausbilden. Insgesamt leben in einem Gramm Boden mehr als 10.000 verschiedene Arten von Mikroorganismen. Böden sind also die diversesten Ökosysteme, die es auf der Erde gibt“, so Kaiser.
Nicht nur bezüglich der Artenvielfalt ist der Boden Spitzenreiter, die dort lebenden Mikroben sind auch für den größten Fluss an Kohlenstoff zwischen Land und Atmosphäre verantwortlich: Durch den Abbau von totem organischen Material entweichen jedes Jahr circa 60 Gigatonnen Kohlenstoff in Form von CO2 oder Methan in die Luft – dieselbe Menge, die von Pflanzen in einem Jahr gebunden wird. Würde der Mensch also keine fossilen Brennstoffe verheizen oder anderweitig in diesen Kreislauf eingreifen, bliebe die Gesamtmenge von heute mehr als 800 Gigatonnen Kohlenstoff in der Atmosphäre stabil.
Auch für den Stickstoffkreislauf sind die mikrobiellen Prozesse im Boden von globaler Bedeutung, weltweit wird daher an diesen Ökosystemen in der Erde geforscht. Die dabei zum Einsatz kommenden Methoden wirken angesichts der delikaten Bodenstrukturen jedoch beinahe grob: „Oft untersucht man einen Viertelliter Bodenmaterial, der gesiebt
nutzt Christina Kaiser (Uni Wien), um die elementare Zusammensetzung der Bodenaggregate zu untersuchen – die Oberfläche der Probe wird mit Ionen beschossen, und die ausgestoßenen Teilchen werden analysiert. Mit ergründet sie die dreidimensionale Struktur der Erdkrümel, und durch
untersucht sie die darin befindlichen Mikroorganismen. und homogenisiert wird, und dann werden ein paar Gramm entnommen. Daraus wird dann beispielsweise die DNA isoliert, um die mikrobielle Gemeinschaft zu bestimmen, oder man misst bestimmte Stoffwechselraten. Aber dabei gehen viele Informationen darüber verloren, welche Organismen was und wo machen und wie sie dabei zusammenarbeiten“, erklärt die Ökologin. Verrottet etwa ein totes Blatt, müssen dessen hochkomplexen Bestandteile wie Cellulose, Lignin oder verschiedenste Proteine von einer Vielzahl hoch spezialisierter Enzyme aufgespalten werden – keine einzelne Mikrobenart könnte sie im Alleingang produzieren. Eine eng verzahnte Zusammenarbeit ist daher für das ökologische Gleichgewicht im Boden essenziell, so Kaiser.
Um diese Arbeitsteilung zu ergründen, hat die Wissenschaftlerin daher einen unkonventionellen Ansatz entwickelt: Mit einer Vielzahl hochmoderner Techniken (siehe Lexikon) sollen sowohl die physikalische Struktur als auch die räumliche Verteilung von Mikroorganismen und deren Funktionen in den einzelnen Bodenaggregaten sichtbar gemacht werden. Die experimentell gesammelten Daten verknüpft man dann in einem mathematischen Modell, in dem die sogenannte Wissenschaft komplexer Systeme zur Anwendung kommt. „Komplexe Systeme bestehen aus vielen Einzelkomponenten, die miteinander interagieren. Als Ganzes können sie aber eine eigene Dynamik entwickeln, die nicht mehr unmittelbar von dem Verhalten der Einzelteile abgeleitet werden kann. Das ist ein Phänomen, das es überall in der Natur gibt, zum Beispiel bei Ameisenstaaten“, erklärt Kaiser.
Im Computer simuliert will die Forscherin mit diesem Modell herausfinden, ob das mikrobielle Ökosystem im Boden sich selbst organisieren und es bei Veränderungen sprunghaft in einen neuen Zustand wechseln kann. „Angesichts des Klimawandels und der stetigen Erwärmung des Bodens ist das eine spannende Frage – denn so ein sprunghafter Wechsel könnte erhebliche Auswirkungen auf die globalen Stoffkreisläufe haben.“