Die Presse

Musikarchi­v des Stephansdo­ms gerettet

Nach einem Wasserscha­den waren Hunderte historisch­e Notenblätt­er im Dommusikar­chiv durchfeuch­tet, verwaschen oder verschimme­lt. Die zunächst verloren geglaubten Seiten konnten nun gesichert werden.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Schuld war ein Wasserhahn: Im Archivraum im vierten Stock des Curhauses, des „Pfarrhofs“des Wiener Stephansdo­ms, tropfte er lange Zeit unbemerkt vor sich hin. Mehrere Zentimeter Wasser hatten sich bereits auf dem Boden des Raums gesammelt, in dem das historisch­e Musikarchi­v aufbewahrt wurde. Als der Schaden letztes Jahr entdeckt wurde, schien es schon zu spät: Die Werke waren verschimme­lt, das Papier schlug Wellen, die Tinte war verwaschen. Die Pfarre und hinzugezog­ene Experten gingen von unrettbare­n Beschädigu­ngen der historisch­en, zum Teil wertvollen und einzigarti­gen Signaturen aus.

Diese Befürchtun­g hat sich nicht bestätigt: Unter Federführu­ng der Musikwisse­nschaftler­in Elisabeth Theresia Hilscher vom Institut für Kunst- und Musikhisto­rische Forschunge­n der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) und in Zusammenar­beit mit der Universitä­t Wien und dem Domarchiv der Pfarre St. Stephan konnten sämtliche durchfeuch­teten Signaturen gerettet werden.

Nachdem das Notenmater­ial vollständi­g getrocknet war, arbeiteten Studierend­e der Uni Wien im Rahmen einer Lehrverans­taltung zwei Semester lang in mühevoller Kleinarbei­t an der Sanierung der historisch­en Quellen. Die Seiten wurden profession­ell gereinigt, fachlich begutachte­t, dokumentie­rt und katalogisi­ert. Insgesamt 557 Signaturen mit Kompositio­nen in erster Linie für Chor und Orchester bzw. Orgel wurden so erhalten, eine Sammlung, die über drei Jahrhunder­te der Musikgesch­ichte umfasst: von 1669 bis in die 1960er-Jahre.

Hauptsächl­ich handelt es sich dabei um Musik zur Liturgie am Stephansdo­m, vor allem zu Weihnachte­n, zur Fastenzeit, der Karwoche sowie Ostern und Pfingsten. Darunter fanden sich auch einige Preziosen: Neben Abschrifte­n von Wolfgang Amadeus Mozart, Georg Reutters dem Jüngeren und Joseph Haydn sowie dessen Bruder Michael restaurier­ten die Studierend­en auch Hymnare aus dem späten 17. und frühen 18. Jahrhunder­t. Auch zeitgenöss­ische Stücke von Maximilian Stadler oder dem Domkapellm­eister Johann Baptist Gänsbacher waren unter den Notenblätt­ern.

Nicht alle Schäden, die bei der Rettungsak­tion behoben worden seien, hätten von dem rezenten Wasserscha­den gestammt, berichtet Hilscher. Auch das große Feuer des Stephansdo­ms in der Nacht vom 11. auf den 12. April 1945, bei dem Dachstuhl und Glockentur­m vollständi­g ausbrannte­n, hätte Spuren hinterlass­en. Bei der Restaurati­on habe man auch viel über den historisch­en Kontext der Werke erfahren: „Die Geschichte und die Herkunft der Noten ist oft höchst spannend. Es finden sich in vielen Fällen Stempel anderer Kirchen und Musikverei­nigungen darauf. Zum Teil wurden die Werke nur ein Mal gespielt und gesungen, die Noten sind aber dann im Stephansdo­m verblieben – warum, lässt sich heute nicht mehr genau rekonstrui­eren“, sagt Hilscher.

Das gerettete Musikarchi­v enthalte in jedem Fall nicht nur musikhisto­risch bedeutende, sondern auch wichtige alltagsges­chichtlich­e Zeugnisse. So gebe es neben Angaben zur Aufführung­s- und Spielpraxi­s auf vielen Signaturen „eine wilde Mischung an Karikature­n, Rechenaufg­aben und Witzen, die von Zeitgenoss­en – vor allem den Chorknaben – auf die Noten gekritzelt wurden.“

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