Die Presse

Olivenhain­e in Silber

Expedition Europa: winzige Würfel, Ehen rettende Furni – bei den Griechen auf Salento.

- Von Martin Leidenfros­t

In Süditalien, auf der rechts und links und vorn von Meeren umspülten Halbinsel Salento, liegt die Grec`ıa Salentina. Ihre Landschaft ist schnell beschriebe­n: alte, von lockeren Steinmauer­n begrenzte Olivenhain­e. Wenn man zu Mittag durchfährt, schimmern sie silbrig, in der Nacht springen einen die verknorpel­ten Olivenbäum­e wie einreitend­e Hexen an. Ich komme wegen dem Griko, einem altertümli­chen Dialekt des Griechisch­en, der ohne den Eifer weniger Enthusiast­en längst ausgestorb­en wäre. Wo es mich aber immer mehr hinzieht, das sind diese eigentümli­chen Steinhütte­n in den Olivenhain­en – rundliche Pyramiden mit abgeflacht­er Spitze.

„Kalos` `ırtate stin Grec`ıa Salentina“, grüßt eine Tafel in lateinisch­er Schrift, „willkommen im salentinis­chen Griechenla­nd“. Griko-Sprecher leben nur noch in sechs Gemeinden. Der Hauptort Martano erinnert an Graham Greenes hitzetote mexikanisc­he Städte, in allen Grautönen gealterter Stein, Palmen und Kakteen. Es wird vermutet, dass die Salento-Griechen aus Kreta kamen. Dazu passt die hiesige Hausform, die auch im Osten Kretas dominiert: ein Hof, und jeder erstgebore­ne Sohn baut für seine Familie einen winzigen Würfel dazu. Es gibt Hinterhöfe mit 15 Würfeln, heute wirken sie wie halb verlassene Slums. Gepflegt sind die Mignanos, verzierte Brüstungen auf den Flachdäche­rn. Von dort oben, aus der Deckung, nahm die salentinis­che Griechin am Gemeindele­ben teil.

Als ich nach Griko frage, etwa die Stoneface-Beamtinnen des Arbeitsamt­s, geht ihnen schlagarti­g das Herz über. Griko kennen sie von den Eltern, in Griechenla­nd waren sie nie, manchmal probieren sie ihr Griko an griechisch­en Reisegrupp­en aus. Der Bäcker Antonio Guglielmo fährt gern nach Griechenla­nd, „dort kann ich mich gut verständig­en“.

Philosophi­schstes Dorf Italiens

Corigliano d’Otranto ging aus einer Sprachstud­ie der Sechzigerj­ahre als das zweitgriec­hischste Dorf hervor, nun preist es sich als das „philosophi­schste Dorf Italiens“an. Warum? „Weil wir Griechen sind“, sagt ein Alter, der Griko nur noch passiv kann. Philosophi­sch ist Corigliano wohl wegen der Emailschüs­seln im Park, auf denen Zitate von zwölf Philosophe­n aufgemalt sind.

Unbestritt­en am griechisch­sten ist Sternatia. Ein 600-jähriger Olivenbaum, eine „Caffeteria Greco“und in der „Crazy Bar“, dem wohl billigsten Tschecherl Italiens, Marco Chiriaco,` 43. Früher schimpften die Lehrer, wenn sie Griko hörten, „vor etwa 20 Jahren hat sich das geändert“. Chiriaco` verehrt den verstorben­en Schriftste­ller Cesare De Santis, der auf dem Fahrrad durch Sternatia fuhr, um sein erstes Buch zu verteilen. „In der ersten Klasse hat meine Mutter zu mir gesagt: Marco, wenn du singst, dann sing nur auf Griko! Als De Santis das gehört hat, hat er mich umarmt, mit Tränen in den Augen.“Heute hat Marco nur noch sieben Freunde, die Griko können.

Ich gehe in die Olivenhain­e, zu den Steinpyram­iden. Sie heißen Furni, ihre Form ist pyramidal. Die Kleinbauer­n schichtete­n sie einst mittels Einklemmte­chnik auf, ganz ohne Fugmasse, aus Tausenden passgenau zusammenge­klaubten Steinen. Heute sind die meisten Furni leer, früher waren sie für alles gut. Sie dienten zum Lagern, zum Kühlen, zum Schutz vor Tieren und zum Trocknen von Früchten. Innen hatten sie oft Nischen und außen Stiegen, die das Besteigen von Pferden erleichter­ten. Da die Ritzen für Lüftung sorgten, waren die Furni der ideale Ruheplatz. Aus der Fachlitera­tur der Grec`ıa Salentina weiß ich, dass sie so manche Ehe retteten: Während die Bäuerin zuhause vom Mignano herunterke­ppelte rastete der Bauer

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