Die Presse

Hühnerdieb­e und Cola-Rum

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Poetisch mutet der Titel an, den die junge Autorin Margit Mössmer für ihren Band gewählt hat. „Palmherzen“nennt sich dieser 248 Seiten lange Roman. Wer meint, hier eine kritische Auseinande­rsetzung mit dem Katholizis­mus serviert zu bekommen, der täuscht sich. Margit Mössmer entführt mit ihrem neuen Buch in ganz andere Gefilde. Und so befindet sich der Leser, ehe er sich’s versieht, bereits in Quininde´ im Nordwesten Ecuadors und beginnt mit Jorge und Julia, einem wohlhabend­en Ehepaar, den Tag.

Wir folgen in einer unaufgereg­ten Sprache dem Arzt Jorge Oswaldo Mun˜oz, der sich auch als Fabrikleit­er verdingt: Mit seiner Frau Julia leitet er die Palmherzen­fabrik Ecuadors und zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er die Kunst des Zuhörens beherrscht. Er ist eingebette­t in ein familiäres Gefüge, das sich als widersprüc­hlich und schwierig erweist: Während Jorges Vater seine besten Tage längst hinter sich hat, leidet Hausmädche­n Belgica´ unter einem alkoholabh­ängigen Mann, der sich dem Zuckerrohr­schnaps verschrieb­en hat.

Doch auch Tante Catita lebt nicht in der Gegenwart: Die verschrobe­ne Frau zelebriert nahezu ein Schmerzdas­ein, indem sie es sich zur Lieblingsb­eschäftigu­ng gemacht hat, Cola mit Rum zu strecken und während des Trinkens von ihrem vergangene­n – offenbar sehr aufregende­n – Leben mit einem Gangster zu träumen. Aber nicht nur die Mitglieder des engeren Kreises um Jorge weisen diverse Wunden und Marotten auf; auch der Ananasköni­g Zorro hat so seine

Probleme – eines Tages gerät er in die Fänge gar nicht ungefährli­cher Hühnerdieb­e! Somit wäre das Chaos perfekt.

Dass Margit Mössmer ihre Figuren schätzt, wird bereits zu Beginn der Handlung klar und deutlich. Sensibel schildert die erste Szene in einer Art „point of attack“die Folgen eines Erdbebens und nimmt uns sofort mit in die Szenerie einer für uns Europäer doch eher weit entfernten Welt – die mit der Beschreibu­ng eines Frühstücks jedoch wieder abgefangen wird.

Ob die plastische Schilderun­g des Lebens in Ecuador das Ergebnis langwierig­er Recherchen ist, sei dahingeste­llt: Sie funktionie­rt wunderbar und entführt zu Beginn in eine Dimension der Ferne und des Exotismus. Dieser wird klug gebrochen: Denn Mössmers Figuren sind Menschen wie du Frauen auch mal gern auf High Heels umher-„klappern“, als seien sie Telenovela­s entsprunge­n.

Was die Erzählart betrifft, so bedient sich Margit Mössmer hier intelligen­terweise auch eines magischen Realismus, der stark an die Bilder von Frida Kahlo erinnert, nach Isabel Allende schmeckt und versucht, „hundert Jahren Einsamkeit“modern nachzuspür­en. Das nostalgisc­he Setting ist durch moderne sprachlich­e Einsprengs­el und tragische Momente in der Handlung gekonnt gebrochen, es entsteht nie ein Augenblick der Verklärung. Die Titel der Abschnitte sind zum Teil sehr ironisch und diskursiv gewählt – „Der Tod und das Mädchen“heißt etwa ein Kapitel des Buches.

In einer Familienge­schichte im Herzen Ecuadors dürfen die Protagonis­ten des Romans so ihre Sprache entfalten und ihre eigenen Geschichte­n erzählen. Was die Form des Romans betrifft, gestaltet sich dieser denkbar einfach. Der Text ist lückenlos in einzelne Kapitel gegliedert und gut gebaut, weist aber von einigen (Lied-)Zitaten abgesehen eine sehr traditione­lle Struktur auf.

Sind die Handlung sowie die Grundstimm­ung des Romans atmosphäri­sch dicht gestaltet und handwerkli­ch perfekt konstruier­t, bleibt die Sprache als eine Art Stiefkind hinter dem Moment der Erzählung zurück. Zu vieles hat die Autorin in den Dialogen und Beschreibu­ngen dezidiert auserzählt; es scheint, als müsse das Geheimnis aufgrund der detaillier­ten, wenn auch sprachlich nicht besonders poetisch gestaltete­n Handlung zurücktret­en.

Dennoch: Die Erzählunge­n sind stimmig und die Schilderun­g des Lebens der Figuren unterhalts­am sodass man als Lesen

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