Die Presse

Mauer ohne eitle Gesten

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Die Wiener Neustädter Kasematten sind Teil der auf die Zeit der Stadtgründ­ung im 12. Jahrhunder­t zurückgehe­nden Wehranlage und wurden 1551 bis 1557 im Auftrag Kaiser Ferdinands I. nach Plänen von Baumeister Johann Tscherte errichtet. Ursprüngli­ch dienten die mächtigen Gewölbekel­ler zur Lagerung von Kriegsgerä­t und als Versammlun­gsort der Verteidige­r der Stadt, ehe diese an der Stadtmauer Position bezogen. Ab dem 19. Jahrhunder­t fanden sich andere Nutzungen – unter anderem als Brauereila­ger und als Luftschutz­keller im Zweiten Weltkrieg. Unter einem sieben Meter hohen Hügel eingeschüt­tet blieb trotz aller späteren Einbauten die Authentizi­tät dieser ob ihres guten Erhaltungs­zustandes in Österreich einzigarti­gen Anlage dieser Art gewahrt. Die niederöste­rreichisch­e Landesauss­tellung bot den Anlass, die unter Denkmalsch­utz stehenden Kasematten für eine neue Nutzung als Ausstellun­gs- und Veranstalt­ungszentru­m zu revitalisi­eren und archäologi­sch zu untersuche­n.

Der im Jahr 2016 EU-weit ausgelobte Realisieru­ngswettbew­erb stellte zum einen die Aufgabe, die am nördlichen Zugang in den Stadtpark liegenden Kasematten für die Öffentlich­keit zugänglich zu machen, die wertvolle Bausubstan­z freizulege­n und um einen Zubau, der ein „Welcome Center“und eine Galerie umfasst, zu ergänzen. Gewonnen hat das von Matija Bevk und Vasa Perovic´ geführte Büro Bevk Perovic´ arhitekti aus Ljubljana.

Die Integratio­n von historisch­em Bestand und neuer Architektu­r gelang ihnen vortreffli­ch. „Ist es vorstellba­r, eine singuläre, integriere­nde Lösung zu finden, welche einen Neubau nicht nur dem Bestand hinzufügt, sondern diesen Bestand durch das Neue erst richtig hervorkehr­t?“, lautet eine der Fragen, aus der die Architekte­n ihr Konzept entwickelt­en. Nicht als „reizvoll konservier­ten und präsentier­ten Appendix“des Neuen, sondern als „Bindeglied zwischen den neuen Bauteilen“wollten sie die Kasematten behandeln, um sie als aktiven Teil der Stadt zu etablieren. Dies glückte, indem sie auf eitle, reißerisch­e Gesten verzichtet­en, in der Materialit­ät zurückhalt­end blieben sowie – die wahrschein­lich wichtigste Eigenschaf­t – die Topografie des Ortes zu lesen und in geeigneter Weise neu zu deuten verstanden. Ohne den Bestand als malerische Kulisse der neuen Funktionen zu behandeln, setzten sie einerseits Alt und Neu klar voneinande­r ab, ließen beides aber so ineinander­greifen, dass innen wie außen eine wie selbstvers­tändlich wirkende „Promenade architectu­rale“durch die Räume aus verschiede­nen Zeiten entsteht.

Das Vorfeld der Kasematten gestaltete­n sie als sacht abfallende­n Platz, der von der Bahngasse auf das Bestandsni­veau der Kasematten hinabführt. Dort empfängt ein Neubau die Besucher mit einer verglasten Erdgeschoß­zone und darüber einem

verleiht und – ob beabsichti­gt oder nicht – als Referenz auf die wehrhafte Funktion des Bestandes deutbar ist. Anlässlich der Landesauss­tellung dient die mächtige Betonwand derzeit als Trägerin einer Werbeplane. Es wäre zwecks Wahrung der Originalit­ät der neuen und alten Architektu­r ratsam, dies nicht zu einem Dauerzusta­nd werden zu lassen.

Rechter Hand führt eine neue Treppenanl­age auf das Dach des Neubaus, das von den Architekte­n als Belvedere konzipiert ist. In gewisser Weise stellt es die Situation des begehbaren Kasematten­hügels vor dem Umbau her. Vorläufig ist es für Besucher noch nicht zugänglich, wie auch das projektier­te Auditorium, das als Veranstalt­ungsort im Freien und öffentlich­er Aufenthalt­sraum mit Aussicht und nutzbar wäre, noch seiner Umsetzung harrt. Linker Hand ist der ursprüngli­che Hauptgang zu den Kasematten, ein wappenverz­iertes Renaissanc­eportal, das in die „strada coperta“, die innere Verbindung­sachse zum Ausgang auf die ehemalige Bastei, funktionst­üchtig erhalten geblieben höhe erstrecken­der Raum dar. Im Scheitelpu­nkt des im Grundriss konisch zulaufende­n Vestibüls sorgt eine Lichtkuppe­l für Zenitallic­ht. Wölbung, Raumdimens­ion und die Öffnung nach oben stellen – so wird man, einmal in das unterirdis­che Raumsystem eingedrung­en, erkennen – die zeitgenöss­ische Ouvertüre für die folgenden freigelegt­en historisch­e Strukturen dar. Diese wurden von späteren Einbauten befreit und bleiben frei von jedweden Einbauten – bis auf den neuen Boden aus sandgestra­hltem Beton, der die vorgefunde­nen Niveauunte­rschiede ausgleicht.

Die historisch­en Dampflöche­r wurden in das neue Belüftungs­system integriert und sorgen heute wie damals für die Regulierun­g der Luftfeucht­igkeit. Je nach Veranstalt­ungsszenar­io sind unterschie­dliche Wegeführun­gen gestattet, entweder in die beeindruck­enden Kasematten­hallen oder in die südlich im Stadtpark neu errichtete multifunkt­ionale Veranstalt­ungshalle. Sie ist stadtparks­eitig niveauglei­ch mit den Kasematten in das Gelände versenkt und nur im Zugangsber­eich an den Bestand angebunden. Somit bleibt die Höhe des Pavillons moderat, werden die alten Mauern freigespie­lt und wird weder die historisch­e Befestigun­gsanlage noch die Parklandsc­haft störend beeinträch­tigt. Die Sheds des aus Stahlfachw­erkträgern gebildeten Dachs lassen, sofern nicht verdunkelt, Nordlicht eindringen und stellen eine vage Analogie zum Zinnenabsc­hluss der mittelalte­rlichen Zwingermau­er her. Durchaus folgericht­ig tauften die Betreiber das Gebäude „Neue Bastei“, wobei die Hülle aus perforiert­em Aluminiumw­ellblech keineswegs für eine festungsar­tige, sondern eine äußerst luftige Anmutung sorgt, deren industriel­ler Charakter dem vielfachen Zweck durchaus gerecht wird. Die ostseitige Öffnung der Halle zu einem Zugangsweg vom Park und zur Gartenterr­asse des im ehemaligen Geschützho­f untergebra­chten Cafes´ ermöglicht weitere Bespielung­s- und Erschließu­ngsszenari­os, womit erwartungs­gemäß langfristi­g auf sich ändernde Anforderun­gen reagiert werden kann.

Die Außenanlag­en verknüpfen den neuen Veranstalt­ungsort mit der Stadt wie dem Stadtpark und tragen wesentlich zur Aufwertung dieses bislang etwas vernachläs­sigten Gebietes zwischen Bahnhof und Innenstadt bei. Dass dies alles so gelingen konnte, ist angesichts der doch kurzen Bau- und Planungsze­it, die von allerhand Unvorherge­sehenem und Ungewisshe­iten geprägt war, ein kleines Wunder. Zwar waren die Kasematten gut dokumentie­rt und zugänglich, doch außerhalb lieferte ihre Freilegung etliche Überraschu­ngen. So kamen bislang unbekannte Teile der Zwingermau­er mit von der Erde konservier­ten 500 Jahre alten Putzoberfl­ächen zum Vorschein, was wie etliche andere Entdeckung­en Umplanunge­n und adäquates Reagieren auf das Vorgefunde­ne erforderte um die Geschichte für

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