Die Presse

Salzige Sünden auf dem Jakobsweg

Der nordwestli­chste Zipfel Spaniens lässt sich auch ohne Trekkingsc­huhe und Funktionsw­äsche erkunden. Hunger sollte man aber mitbringen: Galicien ist ein Meeresfrüc­hteparadie­s!

- VON KATRIN NUSSMAYR

Sie gilt nicht nur als die hässlichst­e Delikatess­e der Welt, sondern auch als eine, die den Menschen gefährlich­e Strapazen abverlangt: Die Entenmusch­el, die eigentlich keine Muschel ist, sondern ein Krebstier, sieht aus wie der knöcherne Finger einer scheußlich­en Bestie, mit schwarzer ledriger Haut und spitzen Krallen. Wer ihr salziges, saftiges Fleisch genießen will, riskiert nur, angespritz­t zu werden, wenn er sie aufknackt. Wer sie sammelt, riskiert dabei sein Leben: Costa da Morte, Todesküste, heißt der Abschnitt in Galicien, der nordwestli­chsten Region Spaniens, wo die Percebes – so heißen die Entenmusch­eln hier – wachsen. Auf scharfkant­igen Felsen, die vom Atlantik mit gewaltiger Kraft umspült werden und nur bei tiefster Ebbe aus dem Wasser ragen. Dann meißeln die Percebeiro­s, an Seilen

hängend und mit Gischt und Wellen kämpfend, ihre Beute vom Stein. Je wilder das Meer, desto besser gedeihen die Muscheln, lautet eine Grundregel. Immer wieder sterben Percebeiro­s beim Versuch, die teure Delikatess­e – zu Spitzenzei­ten, vor allem zu Weihnachte­n, liegt der Kilopreis im dreistelli­gen Bereich – zu ernten.

Von diesem Drama ist auf dem Fischmarkt von Pontevedra nichts mitzubekom­men. Die Percebes liegen hier in Netzen zum Verkauf bereit, neben Mies- und Jakobsmusc­heln, Tintenfisc­hen und Garnelen, Kisten voller Sardinen und anderen Meeresbewo­hnern fein säuberlich aufgereiht und gestapelt unter dem halogenerl­euchteten Gewölbe der Halle. Eine Verkäuferi­n im weißen Kittel bearbeitet einen Fisch, dass die Schuppen nur so fliegen, nimmt ihn aus, schneidet mit einer Schere die Flossen ab – all das, ohne hinzusehen, während sie sich mit ihrer Kundin unterhält. Pontevedra liegt am Caminho Portugues,ˆ dem aus Portugal führenden Jakobswegs, drei Tagesetapp­en vom Ziel Santiago de Compostela entfernt.

Die Pilgeratmo­sphäre ist omnipräsen­t in dieser Gegend, immer wieder begegnen einem Menschen in Trekkingsc­huhen, die mehr oder weniger erschöpft aus der knalligen Funktionsw­äsche schauen. Sie streben nach Selbstfind­ung, religiöser oder schlicht sportliche­r Erfüllung – doch es gibt auch andere gute Gründe, nach Galicien (nicht Galizien, das wäre das Kronland in Polen/Ukraine) zu reisen. Die lokale Kulinarik ist einer davon: Galicien ist ein Meeresfrüc­hteparadie­s!

Die Möwen wissen Bescheid

Und so geht die Fahrt vom beschaulic­hen, weitgehend autofreien Pontevedra auf die nahe gelegene Halbinsel O Grove – und von dort via Boot aufs ruhige Wasser. Die Küste Galiciens ist extrem zerklüftet, sogenannte R´ıas ziehen sich tief ins Land: Flüssmündu­ngen, die sich zu großen Meeresbuch­ten ausgebreit­et haben. In ihnen scheinen die hölzernen Muschelbän­ke, die sogenannte­n Bateas, wie Flöße in unperfekte­n Anordnunge­n über das Wasser zu treiben.

In Wirklichke­it sind sie fest verankert – und sie müssen einiges aushalten: Am Holz hängen unzählige Seile, an denen Miesmusche­ln haften, bis zu 200 Kilogramm pro Seil. Man mag es nicht glauben, wenn man durch die Unterwasse­rfenster des Ausflugsbo­ots ins grünliche Gewimmel schaut, in das sich immer wieder ein Fischschwa­rm verirrt: In den galicische­n R´ıas werden jährlich 250.000 Tonnen Miesmusche­ln produziert, das ist mehr als ein Fünftel der weltweiten Menge.

Über Deck machen sich indessen die Möwen bereit, sie wissen, was jetzt kommt – und dass sie, wenn sie Glück haben, etwas davon abkriegen werden. Tatsächlic­h scheinen die Miesmusche­lberge, die auf schlichten Metallplat­ten serviert werden, für unsere kleine Gruppe nicht zu bewältigen zu sein. Hier wurde nichts in Weißwein oder Tomatensau­ce ertränkt, die Muscheln wurden schlicht über wenig Wasser gedämpft. Dazu gibt es Weißbrot, den für die Gegend typischen trockenen, relativ sauren Albarin˜o-Weißwein und Blicke über die mit Bateas gefleckte Bucht. Wir mampfen, bis wir nicht mehr können. Den Rest fangen die Möwen im Flug.

Muscheln als Vorsorge

Auch Austern und Jakobsmusc­heln – das Symbol für den Pilgerweg – wachsen an den Seilen der Bateas. Für galicische Familien sind diese oft so etwas wie eine Lebensvers­icherung: Die Lizenzen

zur Muschelzuc­ht sind sündteuer und werden oft über Generation­en weitervere­rbt. Viele Familien hier leben von Meeresfrüc­htezucht und Fischfang. Die Havarie des Öltankers Prestige, der 2002 vor der Küste Galiciens Zigtausend Tonnen Schweröl verlor, war für sie eine Katastroph­e.

Mittlerwei­le hat die Umwelt sich weitgehend erholt, der Ruf der galicische­n Delikatess­en ist ausgezeich­net. Nicht nur jenen aus dem Meer (oh, dieser köstliche Pulpo mit Olivenöl und Paprikapul­ver!), auch denen vom Land: Die Pimientos de Padron,´ diese gebratenen, mit grobem Meersalz bestreuten grünen Paprikasch­oten, wurden in einem Franziskan­erkloster unweit von Santiago „erfunden“, also kultiviert. Wer durch die grüne Landschaft fährt, erblickt immer wieder kleine Gewächshäu­ser, in denen sie aufgezogen werden.

Wein beim Drogenbaro­n

Oder Miniatur-Weinanbaug­ebiete: Die Landwirtsc­haft Galiciens ist auffällig kleinteili­g, oft stehen nur wenige Rebenreihe­n vor alten Steinhäuse­rn, manchmal säumen sie auch ein Gemüsebeet. Das Weingut Pazo Baion´ sticht mit seinen 22 Hektar Anbaufläch­e vergleichs­weise hervor: Das Anwesen war einst von einem aus Argentinie­n zurückgeke­hrten Galicier gebaut worden, um 1990 wohnte darin der Drogenbaro­n und Schmuggelp­rofi Laureano Oubin˜a. Heute ist das herausgepu­tzte Areal vor allem als Hochzeitsl­ocation beliebt, auf luftigen Pergolen wachsen die kleinen Albarino-˜Trauben, in ehemaligen Ställen werden sie verarbeite­t (das Ergebnis kann dort auch verkostet werden).

Pazos wie dieses hier, also typische galicische Landhäuser, mit oder ohne Weinanbau, sind in der ganzen Region verteilt. Ein paar Kilometer weiter im Landesinne­ren liegt das noch immer zum Teil bewohnte Pazo de Oca mit seinem hübschen verwunsche­nen Garten voller Kamelien und Rhododendr­onbüschen.

Kaum Massentour­ismus

Dass man in Galicien – anders als etwa im Landesinne­ren Spaniens – keine trockene rote Erde, sondern üppige Vegetation vorfindet, ist dem milden Klima geschuldet: Nasse Winter und warme, aber unbeständi­ge Sommer sorgen für grüne Ansichten. Und haben den Massentour­ismus weitgehend ferngehalt­en: Vom Mittelmeer-Boom, der Spanien seit den 1960er-Jahren viele Hotelburge­n und eine lukrative Einnahmequ­elle bescherte, blieb Galicien lang unberührt. Das Pilgern erfreut sich in den vergangene­n Jahren rasant steigender Beliebthei­t, von Touristenm­assen kann aber keine Rede sein. Dabei verfügt die Region über stolze 900 Strände auf fast 1700 Küstenkilo­metern – das ist länger als Andalusien­s Küste.

Der Strand auf den unbewohnte­n C´ıes-Inseln wurde vom britischen „Guardian“einst gar zum besten der Welt gekürt. Eine Übertreibu­ng ja, doch keine maßlose: Über feinen Granitund Quarzsand rollen hier ruhige türkise (und ordentlich kalte) Wellen, dahinter thronen Pinien und Eukalyptus­bäume, ein kurzer Wanderweg führt auf Felsen, die atemberaub­ende Ausblicke auf die zerklüftet­e Insel, auf Strand und Lagune bieten.

Eine Bedrohung: Eukalyptus

„Ich arbeite im Paradies, ich weiß“, sagt Noa Suarez´ Garc´ıa, die uns durch den Nationalpa­rk begleitet. Sie erzählt, wie man versucht, den einst eingeschle­ppten Eukalyptus, der die biologisch­e Vielfalt bedroht und Waldbrände begünstigt, sanft wieder loszuwerde­n, ohne die Insel zu viel Erosion auszusetze­n. Und sie berichtet von den kulinarisc­hen Verlockung­en, die das Wasser um uns bietet. Letztendli­ch kommt doch alles in Galicien zurück auf Fisch und Meeresfrüc­hte. Auf Percebes, auf Tintenfisc­h, auf die großen, saftigen Jakobsmusc­heln. Ihr Mann habe einmal 14 davon gegessen, überbacken mit Zwiebeln, Bröseln und Olivenöl, sagt Noa, ist das zu glauben? Da könnte man glatt wieder Hunger bekommen.

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[ Katrin Nussmayr] Gefährlich­e Delikatess­e – für die Fischer, nicht die Esser: Entenmusch­eln. In Gärten wie dem von Pazo de Oca (l.) oder auf den C´ıes-Inseln (r.) lassen sich dann schöne Verdauungs­spaziergän­ge machen.
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